Natur und Pärke

Bähnlerfriedhof

Gedenkstätte

Am Hang unterhalb der Unteren Vogelsangstrasse, direkt bei den Gleisen, liegt eine kleine Gedenkstätte für die «Opfer der Arbeit im Bahnhof Winterthur». Im Volksmund heisst der Ort schlicht «Bähnlerfriedhof». Die Gedenkstätte besteht aus einer hölzernen Modellkirche und 45 Schiefersteinen.


Baujahr
um 1900


Adresse
Untere Vogelsangstrasse
8400 Winterthur

Besuch der Gedenkstätte im Rahmen einer Stadtführung im Jahr 2005.
Foto: winbib, Andreas Wolfensberger (Signatur FotDig_Lb_002-862)

Unklare Ursprünge

Wann genau der Bähnlerfriedhof angelegt wurde ist nicht bekannt. Der älteste erhaltene Gedenkstein stammt aus dem Jahr 1901. Der Industriearchäologe Hans-Peter Bärtschi vermutete, dass er im Zusammenhang mit der Gewerkschaftsgründung des Rangierpersonalverbandes der Nordostbahn im Jahr 1897 in Winterthur entstand. Der Standort der Gedenkstätte entlang der Rangiergleise ist auffällig und steht vermutlich im Zusammenhang mit einem konkreten Ereignis. In Frage kommt der tödliche Unfall des 24-jährigen Weichenwärters Wehrli vom 28. September 1899. Er wurde beim Rangieren von einer Lokomotive überrollt, die ihm einen Arm abriss und beide Beine brach. Das übrige Rangierpersonal bemerkte nichts von dem Unglück und so wurde der Verunfallte erst einige Zeit später von einem Passanten zufällig entdeckt. Er erlag später seinen schweren Verletzungen im Kantonsspital Winterthur. Das Unglück löste über Winterthur hinaus grosse Betroffenheit aus. Es handelte sich um das schwerste Unglück beim Bahnhof Winterthur zwischen 1897 und 1901.

Gefährlicher Rangierbahnhof Winterthur

Während der Hochblüte der Metallindustrie im 19. Jahrhundert zählte der Rangierbahnhof Winterthur zu den grössten der Schweiz. Heute dient das grosse Gleisareal zwischen der Storchenbrücke und dem Bahnhof überwiegend als Abstellgleis. Die Bahnhofinfrastruktur hielt der raschen Zunahme des Güterverkehrs ab etwa 1870 nicht stand und galt bald als «baulich völlig unhaltbar» und gefährlich. Trotz der Missstände liessen Verbesserungsmassnahmen auf sich warten. Immer wieder kam es zu Zusammenstössen zwischen Güter- und Personenzügen sowie schweren Rangierunfällen. Verantwortlich war die Schweizerische Nordostbahngesellschaft, die sich jedoch mit Verbesserungsmassnahmen zurückhielt und dadurch immer mehr in die Kritik geriet. 

Da unterschiedliche Bahngesellschaften die Gleise nutzten, kam es zudem immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten bei Unfällen in Zusammenhang mit der Haftungsfrage. Oft gerieten die Verunglückten selbst zwischen die Fronten, wie beispielsweise der Lokomotivführer Kübler, der am 29. Januar 1881 von einer einfahrenden Lokomotive erfasst wurde und dabei beide Beine verlor. Während die Schweizerische Nordostbahngesellschaft jegliche finanzielle Unterstützung mit dem Argument der Selbstverschuldung ablehnte, legten seine Kollegen rund 2300 Franken zusammen. Solche Missstände führten zur Gründung der Gewerkschaft. 

Ein wichtiges historisches Industriedenkmal für die Arbeiterschaft

45 Gedenksteine erinnern an das Schicksal von Bahnmitarbeitenden aus der Region zwischen 1901 und 1971. Der Ort dient auch als Mahnmal: Der Besuch des Bähnlerfriedhofs gehörte für Rangierlehrlinge lange Zeit zu den Pflichtbesuchen, um sie über die Risiken ihres Berufs aufzuklären.

Der Bähnlerfriedhof ist zwar nicht denkmalgeschützt, dennoch ist er ein wichtiges Industriedenkmal. Nur selten hat die Arbeiterschaft in der Schweiz ein eigenes Denkmal geschaffen. Im Jahr 2001 renovierte der Winterthurer Steinbildhauer Gregor Frehner den Friedhof mit Hilfe von städtischen Beiträgen. Mitarbeitende des Rangierpersonalverbands kümmerten sich um die Gedenkstätte. Da jedoch mittlerweile kaum mehr entsprechendes Personal in Winterthur stationiert ist, verwilderte der Bähnlerfriedhof zeitweise.

Gedenkstätte schwarz angemalt

Im Jahr 2017 meldete eine Person der Stadt Winterthur, dass die Gedenkstätte mit schwarzer Farbe «verunstaltet» wurde. Tatsächlich handelte es sich jedoch um einen Restaurierungsversuch. Die Steine wurden schwarz übermalt und die Inschriften mit goldener Schrift nachgezogen. Dadurch kam die Gedenkstätte wieder in die Medien. Die Farbe wurde später entfernt. Während der Personalverband sich weiterhin um die Schiefersteine kümmert, übernimmt die Immobilienabteilung der SBB die Pflege des Rasens. Mit Stadtrat Heiri Vogt (SP), der selbst Rangierarbeiter war, hatte die Gedenkstätte zudem einen prominenten Fürsprecher. 

Heute repräsentiert die Gedenkstätte ein wichtiges Kapitel der Winterthurer Industrie- und Eisenbahngeschichte. 


Benutzte und weiterführende Literatur

Päper, Corinne: Der Bähnlerfriedhof, in: 111 Orte in Winterthur, die man gesehen haben muss, Dortmund 2017, S. 26–27.
Gurtner, Christian: Ein Friedhof sieht schwarz, in: Der Landbote, 27.05.2017.
Baumann, Katharina: Bähnlerfriedhof herausgeputzt, in: Der Landbote, 03.07.2010.
Baumann, Katharina: Dem Bähnlerfriedhof fehlt das Herzblut, in: Der Landbote, 14.06.2010.
o.A.: Der Bahnhof Winterthur, in: Thurgauer Zeitung, 24.10.1877
o.A. Unglück Bahnhof Winterthur, in: Tagblatt der Stadt Biel, 29.01.1881.

Bibliografie


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
30.09.2025