Verkehr und Infrastruktur

Elektrizitätswerk Seen

Kanzleistrasse 24

1897 errichtete die Zivilgemeinde Seen ein Elektrizitätswerk und produzierte damit noch vor Winterthur eigenen Strom. Die Anlage blieb bis nach der Eingemeindung im Jahr 1922 in Betrieb und verlor danach rasch an Bedeutung. Heute dient das Gebäude als Quartieranlage.


Baujahr
1898


Blick ins Elektrizitätswerk um 1905. Die Anlage wurde von der Firma Rieter ausgestattet. 
Foto: winbib (Signatur 070504)

Der Traum von der Elektrifizierung

Ab den 1870er-Jahren begannen allmählich die Initiativen zur Elektrifizierung der Städte und Orte. Auch in Seen beobachteten die Menschen die neue Technologie mit grossem Interesse. 1897 ergriff die Wochengesellschaft unter dem Vorsitz des Seemer Pfarrers Jakob Winkler die Initiative und machte der Zivilgemeinde Seen den Vorschlag, ein eigenes Elektrizitätswerk zu bauen. Die Zivilgemeinde Seen stand damals auf einem finanziell soliden Sockel, und die dörfliche Oberschicht zeigte sich offen und machte bald Nägel mit Köpfen. Die Realisierung des Elektrizitätswerks war am Vorabend der Eingemeindung auch ein Zeichen der Unabhängigkeit von Seen gegenüber der Stadt Winterthur.

Rieter bringt den Strom

Mit dem Bau der «electr. Beleuchtungs- & Kraftanlage Seen» wurde die Firma Rieter beauftragt. Sie lieferte und installierte die Maschinenanlage, Batterien, das Leitungsnetz, Strassenlaternen, Hausinstallationen und die Elektromotoren. Aufgrund der grossen Nachfrage nach Elektrizität musste das veranschlage Budget von 30'000 Franken um fast die Hälfte überschritten werden.

Dennoch herrschte in Seen Volksfeststimmung, als das Werk am 30. Dezember 1898, begleitet von freudigen Böllerschüssen, seinen Betrieb aufnehmen konnte. 52 Glühlampen erhellten damals die Seemer Strassenzüge. Den dafür benötigten Strom erzeugte ein Gasmotor mit einer Leistung von 27 Kilowatt. Auch das dafür notwendige Gas produzierten die Seemer selbst, doch 1905 mussten sie einsehen, dass eine Zusammenarbeit mit Winterthur in diesem Fall günstiger war. Um 1905 versorgte das Elektrizitätswerk rund 61 Strassenlampen und 600 Haushaltungen mit Strom, darunter auch jene der Gemeinde Eidberg, wofür eine eigene Trafostation eingerichtet wurde.

Profit trotz notorischer «Stromverschleuderung»

Damals bezahlten die Privatpersonen einzig für den Anschluss an das Stromnetz und nicht für ihren tatsächlichen Gebrauch. Schon bald wurden deshalb Klagen über die eklatante «Stromverschleuderung» laut. Mitarbeitende des Elektrizitätswerks begaben sich auf die Pirsch und stellten entsetzt fest, dass manche Leute das Licht in den Ställen, Küchen und Hausfluren einfach Tag und Nacht brennen liessen.

Trotz der mangelnden Rücksicht auf den Stromverbrauch warf das Werk einen satten Gewinn für die Zivilgemeinde ab, die im Gegensatz zur politischen Gemeinde Seen wohlhabend war. Nach der Eingemeindung im Jahr 1922 verlor das Elektrizitätswerk rasch an Bedeutung und wurde eingestellt. Danach diente das Gebäude als Turnhalle. Seit 1980 wird es vom Ortsverein Seen verwaltet und als Freizeitanlage genutzt.


Benutzte und weiterführende Literatur

Stickel, Bernhard: Ehemaliges Elektrizitätswerk Seen, in: Seemer Bote, Juni 2025.
Niederhäuser, Peter: Zwischen lokaler Verankerung und Visionen - die Zivilgemeinden, in: Seen in der Neuzeit. Dorf – Vorort – Wohnstadt, Zürich 2009, 124–130.
o.A.: Zürich, in: Neue Zürcher Zeitung, 1898

Bibliografie


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
09.07.2025