Wirtschaft und Gastronomie

Else Züblin-Spiller

Journalistin, «Soldatenmutter» und soziale Pionierin, 1881–1948

Else Züblin-Spiller engagierte sich zeitlebens für soziale Gerechtigkeit. Als Journalistin und Aktivistin deckte sie soziale Missstände auf und gründete den «Schweizer Verband Soldatenwohl». Sie war eine führende Persönlichkeit in der Frauenbewegung und wurde als «Mutter der Soldatenstuben» bekannt. Ihr Einsatz für soziale Belange und ihre Führungsrolle im «Schweizer Verband Volksdienst» (später SV Group AG) prägten das soziale Engagement in der Schweiz.


Sterbeort
Kilchberg (Zürich)

Geburtsort
Winterthur-Seen

Geboren
01.10.1881

Gestorben
11.04.1948


Else Züblin-Spiller in jungen Jahren, undatiert. 
Foto: Gosteli Archiv (Signatur AGoF 180: 428:605-02)

Kindheit und Jugend

Else Spiller wurde am 1. Oktober 1881 als drittes Kind eines Sulzer-Monteurs in Winterthur Seen an der Bollstrasse geboren. Nach dem Tod ihres Vaters im Jahr 1884 zog ihre Mutter mit der Familie nach Wallisellen. Im Jahr 1889 zogen sie nach Zürich, wo Else Spillers Stiefvater eine neue Anstellung fand. Schon früh entwickelte sie den Wunsch, «etwas Grosses zu tun».

Im Herbst 1898 erhielt sie mit 17 Jahren ihre erste Stelle in einer Papierhandlung. Später arbeitete sie als Hotelmädchen im Engadin, wo sie die grossen Unterschiede zwischen Luxusleben und Armut hautnah erlebte. Zurück in Zürich veröffentlichte sie Artikel, in denen sie sich sozialkritisch äusserte und ihre Erfahrungen aus der Hotelwelt verarbeitete. Durch die Heilsarmee Zürich, insbesondere den Besuch eines Nachtasyls, wurde sie für soziale Aktivitäten inspiriert und lernte viel über christlich-soziale Hilfsinstitutionen. Sie blieb der Heilsarmee zeitlebens verbunden, wurde aber nie Mitglied. Die Aufdeckung sozialer Missstände und die Verbesserung der Lebensumstände wurden zu ihrer lebenslangen Mission.

Journalistische Tätigkeiten

Im Jahr 1904 kam Else Spiller nach Zürich und fand durch ihre publizistische Tätigkeit bei Jean Frey eine Plattform, um soziale Ungerechtigkeiten weiter zu thematisieren und genauer zu untersuchen. 1911 wurde sie Redaktorin bei der «Schweizerischen Wochenzeitung» und war nebenbei auch für die «Schweizer Hauszeitung» und den Pressedienst der Heilsarmee tätig.

Vor dem Ersten Weltkrieg unternahm sie mehrere Studienreisen in europäische Länder, wo sie Armeekasernen, Obdachlosenasyle und Hafenkneipen besuchte. Ihre Erfahrungen veröffentlichte sie in verschiedenen Schweizer Zeitungen sowie 1911 in ihrem Buch «Slums: Erlebnisse in den Schlammvierteln moderner Grossstädte.»

Soziales Engagement

Else Spiller schrieb nicht nur über die sozialen Missstände, sie engagierte sich auch für deren Linderung. Sie führte 1911 zusammen mit Frau Professor Frieda Haab zugunsten notleidender Kinder den ersten Zürcher Blumentag ein. Dieser und die zweite Durchführung 1913 waren grosse Erfolge und brachten viel Geld ein. Neben der Heilsarmee wurde sie durch andere christliche Gruppen inspiriert, die sich in der Armenfürsorge engagierten und halfen, die allgemeine Not zu lindern.

Else Spiller betrachtete die «soziale Frage» als Sache der Gerechtigkeit, Solidarität und Menschenliebe. Sozialistische Ideen oder politischen Umstürzen konnte sie hingegen nicht viel abgewinnen.

Die Mutter der Soldatenstuben

1914 gründete Else Spiller mit gleichgesinnten Frauen den «Schweizer Verband Soldatenwohl» im Sinne eines «gemeinnützigen Vereins für alkoholfreie Verpflegung der Truppen» und in Absprache mit den Bundesbehörden. Der Verband eröffnete unter ihrer Leitung im Jura die ersten Soldatenstuben, die eine alkoholfreie und kostengünstige Alternative zu den Wirtshäusern waren und zudem Spiele, Zeitungen und Briefpapier ohne Konsumationszwang anboten. Die ersten Versuche stiessen nicht immer nur auf wohlwollende Ortsinsassen oder Kommandostellen. Mit Beharrlichkeit verfolgten die Frauen ihr Ziel einer guten und einfachen Verpflegung der Soldaten. Dabei wurde Else Spiller von Generalsstabschef Theophil Sprecher und Generaladjutant Friedrich Brügger unterstützt. Diese wiesen die Kriegskommissäre an, den Frauen zum Beispiel Brennmaterial für die Soldatenstuben abzugeben und Autos zur Verfügung zu stellen. Nach den ersten Erfolgen im Jura breiteten sich die Soldatenstuben schweizweit aus.

Neben den an der Grenze stehenden Soldaten kümmerte sich Else Spiller auch um die Soldatenfamilien und unterstützte die Armeeleitung in der Wehrmannsfürsorge. Als «Mutter der Soldatenstuben» oder einfach nur «Soldatenmutter» wurde Else Spiller dann auch schweizweit bekannt.

Der SV-Service: «Vom Soldatenwohl zum Volksdienst»

Aus dem «Verband Soldatenwohl» wurde 1920 der «Schweizer Verband Volksdienst» (heutiger SV-Service) mit einem erweiterten Aufgabenbereich. Neu gehörte der Betrieb von Kantinen und «Wohlfahrtseinrichtungen für Arbeitnehmende» mit Bildungsangebot und Erholungsräumen dazu.

Nach dem Ersten Weltkrieg reiste Else Spiller 1919 erstmals nach Übersee und lernte dort den Arzt Ernst Züblin kennen, den sie 1920 heiratete. Else Züblin-Spiller blieb weiterhin öffentlich aktiv und amtete von 1920–1939 als Präsidentin der Betriebskommission und dann bis zu ihrem Tod 1948 als Verbandspräsidentin des «Schweizer Verbands Volksdienst». Dieser wuchs unter ihrer Führung von einem ursprünglichen Sozialwerk zu einem Grossunternehmen (seit 1999 SV Group AG). Neben der Verbandsführung beriet Else Züblin-Spiller auch Unternehmen beim Bau von Kantinen.

Cinémathèque suisse, Schweizerisches Bundesarchiv: Das Werk von Else Züblin-Spiller, Schweizer Filmwochenschau (SFW) vom 23.04.1948. Beitrag ab 1:57.

Frauenbewegung

Else Züblin-Spiller war auch in der Frauenbewegung aktiv. Sie beteiligte sich 1928 an der Saffa (Schweizerische Ausstellung für Frauenarbeit) und baute zusammen mit anderen Frauen 1938 den zivilen «Frauenhilfsdienst» (FHD) auf, dem sie als erste Präsidentin bis 1941 vorstand. Die freiwilligen Frauen betätigten sich in der Soldatenfürsorge, in der Landwirtschaft und der Flüchtlingshilfe und übernahmen die Arbeit der eingezogenen Männer. Die anfänglich skeptischen Behörden erkannten schnell den Nutzen dieser unentgeltlichen Arbeit und so wurde der FHD 1940 direkt dem Militärdepartement unterstellt. Da sich ab 1940 ein militärischer Zweig des FHD durchsetzen konnte, hoffte Else Züblin-Spiller, dass auf die gewonnene Bürgerinnenpflicht nun auch das Stimmrecht folgen würde.

Auszeichnungen

1936 erhielt Else Züblin-Spiller den Biet-Fendt-Preis und 1941 zu ihrem 60. Geburtstag das Ehrendoktorat der Universität Zürich in Medizin «in Anerkennung ihrer grossen sozialen Leistungen im Dienste der Volksernährung und Volksgesundheit». Sie starb 1948.

2003 wurde in Winterthur Neuhegi eine Strasse nach Else Züblin benannt.


Benutzte und weiterführende Literatur

Peter Niederhäuser: Eine «Soldatenmutter» aus Winterthur. In: Winterthurer Jahrbuch 2015, S. 136-139, 2014.
Suzanne Oswald: Else Züblin-Spiller. Bern 1968.
Nachruf, in: Berner Tagwacht, Band 56, Nummer 85, 13. April 1948 (Online: E-newspaperarchives.ch)
Else Züblin-Spiller 60. Jährig, in: Neue Zürcher Zeitung, 1. Oktober 1941 (Online: E-newspaperarchives.ch)
Eine Ehrung, in: Neue Zürcher Zeitung,  1. Oktober 1941 (Online: E-newspaperarchives.ch)

Bibliografie

    Züblin-Spiller, Else, 1881-1948, Dr. h.c., Journalistin, Initiantin Soldatenstuben

    • Einträge ab 2011

      Ruetz, Bernhard: Die einzigartige Geschichte der SV Group. Zürich, 2014.
      Wottreng, Willi: Kräutertee statt Kräuterschnaps. In: Glogger, Beat (Hrsg.): Zürcher Pioniergeist, Lehrmittelverlag Zürich, Zürich, 2014. S. 52-57. m. Abb.
      Niederhäuser, Peter: Eine "Soldatenmutter" aus Winterthur. In: Winterthurer Jahrbuch 2015. S. 136-139. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Coop-Zeitung 1999/25 [Winterthurer Dok. 1999/26 1Abb.].
      Soldatenmutter, in: Jahrhundert-Schweizer, 50 bedeutende Schweizerinnen und Schweizer. Von Christof Dejung et al. Basel, 2000, 1Abb.
      In: Jakob Tanner: Fabrikmahlzeit, Ernährungswissenschaft, Industriearbeit und Volksernährung in der Schweiz 1890-1950. Zürich, 1999. S. 273-331.
      Die Soldatenmutter: Coop-Zeitung 2002 + Online [Winterthurer Dok.2002/54.
      In: Willi Wottring. Zürcher Revolutionäre. Zürich, 2002.

    Else-Züblin-Strasse - Eulachpark. Wohnüberbauung "Impuls" Schweizerische Mobiliar, Architekt Ruedi Lattmann; "Else Züblin" der Helvetia Versicherung, ArchitektenHeim+Dahinden

    • Einträge 1991–2010

      270 Wohnungen: Landbote 2008/232 1Abb., 2009/233 m.Abb.
      Wohnüberbauung "Max" (Dahinden + Heim): Landbote 2009/267 1Abb. - Winterthurer Zeitung 2009/47 1Abb.


Autor/In:
Margrit Meyer
Letzte
Bearbeitung:
08.09.2023