Kunst und Kultur

Emilie Ziegler

Blumenmalerin und Zeichenlehrerin, 1826–1905

Die Bildende Kunst, vor allem Ölmalerei und Bildhauerei, war bis Ende des 19. Jh. eine Männerdomäne. Frauen waren an Kunstakademien nicht zugelassen und mussten sich private Ausbildungen organisieren. Oft arbeiteten sie unbeachtet im stillen Kämmerlein und verdienten bestenfalls etwas Geld mit Unterricht. So blieben auch grossen Talenten erfolgreiche Karrieren versagt. Die Winterthurer Blumenmalerin Emilie Ziegler ist ein typisches Beispiel.


Geburtsort
Winterthur

Geboren
02.08.1826

Gestorben
25.03.1905


Emilie Ziegler mit ihrem jüngsten Bruder Diethelm Heinrich Ziegler-Reinacher (1841–1922). Daguerrotypie, um 1855
Foto: zvg. Paul Girard

Emilie Ziegler stammt aus einer alten Winterthurer Familie – aus einem Zweig, in dem Kreativität und Schöngeistigkeit wesentlich häufiger sind als wirtschaftlicher Erfolg. So beschäftigt sich ihr Vater Johann Jakob Ziegler-Steiner, gescheiterter Textilindustrieller und danach städtischer Finanzbeamter, nebenbei mit der Malerei und sogar der neuartigen Daguerrotypie. Auch seine Töchter greifen gern zu Bleistift und Pinsel. Die älteste von ihnen, die ruhige, bescheidene Emilie, konzentriert sich bald ganz auf die Kunst. Sie nimmt Malstunden, übt sich im Zeichnen und Aquarellieren und perfektioniert später ihre Technik an einer privaten Kunstschule in Paris.

Biedermeiersträusschen und Wissenschaft

Obwohl sich Emilie Ziegler auch an Darstellungen von Vögeln, Früchten und märchenhaften Szenen versucht, sind Blumen ihre Lieblingsmotive: Rosen, bunte Wiesenblumensträusse, Alpenblumen und Gewächse aus dem prächtigen Garten der Familie, der sich ungefähr am heutigen Standort des Physik-Gebäudes der ZHAW befindet.

Bei allem Streben nach exakter Darstellung erkennt man in ihrer Malerei eine deutliche Entwicklung vom exakten Naturalismus zu einer freieren und flächigeren Auffassung. Ihre Blumenaquarelle sind mehr als abgemalte Natur; sie zeugen sie von künstlerischem Gespür und kompositorischem Können. Von besonderem wissenschaftlichem Interesse ist ihre gemalte Alpenblumen-Sammlung; die sorgfältige Beschriftung beweist grosses botanisches Wissen. 

In ihren Skizzenbüchern hält sie mit akribischer Genauigkeit Landschaften und städtische Szenerien aus der Region fest, aber auch Ansichten ihrer Schweizer Reiseziele.

Kunst ohne Kommerz

Zu Lebzeiten stellt Emilie Ziegler ihre Bilder nicht aus und verkauft sie auch nicht. Weil sie als unverheiratete Frau ihren Lebensunterhalt selbst verdienen muss, arbeitet sie als Zeichenlehrerin im Töchterpensionat Adlergarten und gibt der Winterthurer Damenwelt private Malstunden. 

Emilie Ziegler verbringt ihr ganzes Leben im Haus «zum Sonnenberg». Sie logiert im Hinterhaus (heute Technikumstrasse 41), ihre Schwester Bertha bewohnt mit ihrem Mann, Dr. Albert Weinmann (Arzt, Stadtrat und 1878/78 Stadtpräsident), das Vorderhaus an der Steinberggasse 46. 

Emilie Zieglers Werke gehen in die Hunderte. Nach ihrem Tod bleiben sie grösstenteils in Familienbesitz; unzählige Ziegler-Nachkommen hüten ihre meist unsignierten «Tante-Mimi-Bilder» sorgsam. Im Kunsthandel tauchen sie äusserst selten auf. 

Sporadisch wurden einige Aquarelle öffentlich gezeigt: um 1930 in einer Thuner Buchhandlung, 1971 im Museum Lindengut Winterthur und 1982 in der Kunstsammlung der Gemeinde Steffisburg, zusammen mit zeitgenössischer Blumenmalerei.


Benutzte und weiterführende Literatur:

Kunstsammlung Steffisburg: Begleitheft zur Ausstellung «Emilie Ziegler, Anne Marie Trechslin, Walter Linsenmaier – Blumen und Tiere, Aquarelle und Zeichnungen», 1982.
Ziegler, Karl: Erinnerungen an den «Sonnenberg»; erschienen in «Winterthurer Jahrbuch 1971», S. 165ff.
Artikel: Die Blumenmalerin Emilie Ziegler – Zu einer Ausstellung im «Lindengut»; erschienen in «Der Landbote», 1971/241 .

Autor/In:
Paul Girard
Letzte
Bearbeitung:
14.10.2024