Museen, Sammlungen und Bibliotheken
Gewerbemuseum (ehemaliges Mädchenschulhaus)
Kirchplatz 14
Das Anliegen, Muster und Modelle aus verschiedenen Gewerberichtungen zu sammeln, wurde schon 1873 formuliert und gewann in kurzer Zeit viel Zuspruch und Geld. Dafür wurde das Gewerbemuseum gegründet. Geprägt von der Suche nach Räumlichkeiten für Ausstellungs- und Sammlungsobjekte sowie einer Gewerbebibliothek fand das Gewerbemuseum ab 1929 ihre Räumlichkeiten am Kirchplatz 14. Das heutige Angebot des Gewerbemuseums ist abwechslungsreich konzipiert, mit Wechselausstellungen, Veranstaltungen, Darstellungen von Objekt- und Materialgeschichte durch das Materialdepot und einem Museumscafé.
Adresse
Gewerbemuseum Winterthur
Kirchplatz 14
8400 Winterthur
um 1870: Mädchenschulhaus am Kirchplatz; kolorierter Druck
Foto: winbib (Signatur BildFol_003-012)
Gründungszeit und räumliche Engpässe: 1874–1929
Die Thurgauer Handels-und Gewerbegesellschaft wünschte 1873 eine Zentralstelle mit Muster und Modellsammlungen im Raum Ostschweiz. Winterthur wurde als geeigneter Ort für ein solches Gewerbemuseum erkoren, doch Zürich tat sich mit grosszügigeren Leistungen und dem Argument des Polytechnikums in ihrer Stadt hervor. Deshalb beschloss der Stadtrat, eine solche Institution mit eigenen Mitteln zu finanzieren und mit der Abstimmung an der Gemeindeversammlung vom 04. Oktober 1874 wurde es amtlich: Das Gewerbemuseum sollte in Verbindung mit dem Technikum und einem Budget von 200'000 Franken entstehen. Das Gewerbemuseum wurde als Bibliothek und Musterlager im Kornhaus eingerichtet und die Planvorlage für das Technikum mit Gewerbemuseum wurde 1877 genehmigt.
Fragen über Sammlungsschwerpunkte und Sorgen über allfällige Budgetkürzungen begleiteten den Einzug des Gewerbemuseums in den Technikumbau anfangs 1879. Entwürfe und Zeichnungen wurden vermittelt, Kurse angeboten, Auskünfte erteilt sowie Korrekturen an Entwürfen vorgenommen. 1889 wurde die Metallarbeiterschule gegründet und 1892 der Neubau bezogen. Mit den Jahren kam es zu einer Verschiebung von Anschaffung von Gegenständen hin zu deren Ausstellung. Über die Zeit wurden jegliche Materialien und Anschaffungen getätigt und in der Konsequenz die Räumlichkeiten zu eng. 1911 zog die Bibliothek und das Lesezimmer ins Egg’sche Gut, welches 1922 wiederum verlassen werden musste. In der Zwischenzeit wurden sämtliche Gewerbe der Gewerbekommission unterstellt wie die Töchterfortbildungsschule (1919), die gewerbliche Fortbildungsschule und die Metallarbeiterschule. In dieser Zeit am meisten beschäftigte die Gewerbekommission die Baufrage. Das Kirchplatzschulhaus wurde zum Diskussionsmittelpunkt, schon bald jedoch stellte sich heraus, dass das Gebäude zur Zeit gar nicht verfügbar war.
Ein kompletter Neubau überstieg die finanziellen Ressourcen, weshalb alle möglichen Alternativen geprüft werden mussten. Aus Raumknappheit heraus wurden Öfen auf dem Estrich des Technikums magaziniert, entbehrliche Teile der Sammlung verkauft und ein Teil von Objekten in einem Zimmer der Kantonsschule ausgestellt. Die Objekte die nicht ausgestellt wurden, fanden im Estrich der Kantonsschule ihren vorläufigen Standort. 1921 musste auch das Kunstgewerbemuseum wegen Platzmangel aus dem Technikum ausziehen und fand vorübergehend im Eggschen Gut ein neues Zuhause.
Mit dem Ende der alten Stadt Winterthur 1921, beendete auch die Gewerbekommission ihre Arbeit. Die gewerblichen Schulen und das Gewerbemuseum gehören ab 1922 zum Schulamt respektive der Gewerbeschulpflege an.
Erneut drängte sich das Thema Raumknappheit auf: Ausstellungsobjekte waren in Schachteln verpackt, die Räume für die wechselnden Ausstellungen wurden gekündigt, die Maschinenabteilung, welche im Technikum untergebracht wurde musste über kurz oder lang aus diversen Gründen ebenfalls diese Räume verlassen. Die Bibliothek war nicht optimal organisiert und im Eggschen Gut über die Stockwerke verteilt. Ein insgesamt ziemlich unbefriedigendes Bild. So kamen denn auch originellere Ideen zur Sprache wie beispielsweise die Nutzung des Schloss Wülflingen für die dauerhafte Ausstellung. Dies wurde unvermittelt durch die Gottfried-Keller-Stiftung und den antiquarischen Verein verwehrt. Erneut rückte das Kirchplatzschulhaus wo die Mädchenschule war mit all deren Vorteilen für das Gewerbemuseum als neues Zuhause ins Zentrum. Hier sollten die Gewerbebibliothek, das Gewerbemuseum und einige Klassen der Gewerbeschule Platz finden.
Direktoren, Sammlungsschwerpunkte, Ausstellungen und die Gewerbebibliothek in der Zeit bis 1920
Die grundlegende Idee des Gewerbemuseums bestand darin, Rohstoffe aller Art und Muster sämtlicher Gewerbe- und Industriezweige zu sammeln. Zunächst wurden Objekte und Kopien angeschafft, welche für den Unterricht der Stadtschulen und dem Technikum dienlich waren und welche den Bedürfnissen der Industrie und der Handwerker entsprachen. Mit den Jahren kamen kunstgewerbliche Waren hinzu. Die Sammelobjekte sollten auch ausgestellt werden. Die Ausstellungen unterschieden sich in ihrer Dauer: Nebst temporären und Wechselausstellungen gab es auch die Dauerausstellung.
Die Aufgaben als Direktor nahm als erster Kommandant Johann Jakob Schäppi (1821–1907) ab November 1874 an. Als dieser 1877 die Leitung der Lokomotiv- und Maschinenfabrik übernahm, wurde A. Gohl dessen Nachfolger. Gohl wurde bereits wieder im Sommer 1879 aus Sparmassnahmen gekündigt. Von 1886–1920 war der Architekt Albert Pfister (1852–1925) der Direktor des Gewerbemuseums.
Entwicklung des Gewerbemuseums von 1928–1978
1920 trat Albert Pfister von seinem Amt als Direktor und Vorsteher der Metallarbeiterschule, zurück. Es sollte ein Fokus auf Wechselausstellungen gelegt werden Für diese Aufgaben waren zwei Leitungspersönlichkeiten notwendig. Alfred Altherr sen. (1875–1945) erhielt das Zepter für die Leitung des Gewerbemuseums und dasjenige für die Metallarbeiterschule wurde an B. Wydler übertragen. 1927 wurde das ehemalige Mädchenschulhaus am Kirchplatz für das Gewerbemuseum und die Gewerbebibliothek geräumt. Die Räumlichkeiten waren für die Bedürfnisse des Gewerbemuseums bereits geeignet. Es wurde ein Anbau auf der Hofseite des Schulhauses erstellt. Der Haupteingang blieb bestehen. So zog die Bibliothek mit dem Lese- und Patentschriften Saal ins Erdgeschoss. Im erster Obergeschoss fanden die Wechselausstellungen ihren Platz, im zweiten Oberschoss einen Teil der Gewerbeschule. Die Umbauplanung konzipierte Alfred Altherr sen.
Während des zweiten Weltkrieges wurde das Gewerbemuseum als Hochschullager für polnische Internierte genutzt. In dieser Zeit lief das Gewerbemuseum in reduziertem Betrieb und nahm die Tätigkeit als solches erst wieder nach dem zweiten Weltkrieg auf.
Zwischen 1955 bis 1961 leitet Alfred Altherr jun., Sohn von Alfred Altherr sen., das Gewebemuseum. Seine Position übernahm für zwei Jahre, von 1962 bis 1964, der Grafiker Hans Neuburg.
Das Gewerbemuseum von 1978 bis heute: Veränderungen und Fokus
Ab 1961 war in Fritz Hobi eine passende neue Leitung für das Gewerbemuseum gefunden. Hobi amtete für 35 Jahre als Direktor des Gewerbemuseums. Der gelernte Schreiner begann seine Karriere beim Gewerbemuseum als Abwart. 1999 übernahmen Claudia Cattaneo und Markus Rigert gemeinsam die Leitung. Das Gewerbemuseum war dann das einzige noch bestehende Museum, dass sich thematisch mit Handwerk, Kunst, Gewerbe und Industrie und deren Überschneidungen befasst. Mit diesem Leitungswechsel kurz vor der Jahrtausendwende läutete eine Transformation des Gewerbemuseums ein, von einer kunstgewerblich-lokalen Ausrichtung hin zu aktuellen gesellschaftlich und technologischen Fragen. Die Materialmustersammlung hat seit jeher eine grosse Bedeutung und war ab den Nullerjahren auch im Internet einsehbar. Das Ausstellungskonzept mit der neuen Co-Leitung durch Claudia Cattaneo und Markus Rigert lag bei Wechselausstellungen, von denen es vier bis fünf jährlich geben sollte. Kleinere Ausstellungen wurden mit Workshops und Stadtführungen oder anderen museumspädagogischen Aktivitäten ebenfalls angeboten. Zudem entstand das Gefäll Forum, wo diverse Kreative und Handwerks-Menschen etwas aus ihrem Bereich präsentieren konnten. Im Parterre war die Uhrensammlung Kellenberger untergebracht.
Markus Rigert blieb dem Gewerbemuseum als Co-Leiter insgesamt 22 Jahre treu, zunächst mit Claudia Cattaneo, seit 2012 gemeinsam mit Susanna Kumschik, welche die Leitung nach der Pensionierung von Rigert alleine übernahm. Unter der aktuellen Direktorin zeigt das Gewerbemuseum weiterhin Wechselausstellungen. Daneben hat es für Interessierte ein Material-Labor, welches beispielsweise für Materialrecherche genutzt werden kann.
Benutzte und weiterführende Literatur
Das Gewerbemuseum Winterthur. 1929. Signatur XVII4336/16
Bänziger, Kathrin. Lebendige Auseinandersetzung mit dem Alltäglichen. In: Winterthur Jahrbuch 2000, S. 96-101, m. Abb.
Broda, May B. (1978): 50 Jahre Gewerbemuseum Winterthur am Kirchplatz 1928–1978.
Dworschak, Helmut: «Wir leisten immer wieder Pionierarbeit». In: Der Landbote 23.09.2009
Eugster, Erwin (Hrsg.). Winterthurer Stadtgeschichte. Band 2. Von 1850 bis zur Gegenwart.
Hobi, Fritz: Kunstgewerbe und Graphik. In: Zürcher Chronik 1992/2 Sommerheft, S. 22, m. Abb.
Keller, Jonas. Co-Leiter des Gewerbemuseums geht nach 22 Jahren. In: Der Landbote, 13. November 2021, S. 3., m. Abb.