Verkehr und Infrastruktur

Justitia-Brunnen, Gerechtigkeitsbrunnen, Justitiabrunnen

Marktgasse 41

Der 1537 errichtete Justitia-Brunnen ist ein repräsentativer Laufbrunnen mit oktogonalem Becken. Auf seiner Mittelsäule thront Justitia. Gerechtigkeitsbrunnen sind ein beliebtes Motiv in der Schweiz und finden sich in der Regel von Rathäusern. Der Justita-Brunnen stand ursprünglich am Obstmarkt, wurde dann 1872 an die Technikumstrasse versetzt und 1978 wieder zurück in die Marktgasse gebracht.


Baujahr
1537


Adresse
Justitia Brunnen
Marktgasse 41
8400 Winterthur

Der Justitia-Brunnen gehörte zu den repräsentativen Altstadtbrunnen. Ursprünglich befand sich die Mittelsäule in der Mitte des Brunnenbeckens. 
Foto: winbib (Signatur 010021_O)

Der Justitia-Brunnen (Gerechtigkeitsbrunnen)

1537 liess die Stadt beim Obstmarkt an der Einmündung der Obergasse in die Marktgasse einen neuen Laufbrunnen errichten. Der Brunnen besass ein sechseckiges Becken und eine Mittelsäule, auf der eine Justitia-Statue platziert wurde. Es ist wahrscheinlich, dass diese Figur von Anfang an den Brunnen geschmückt hatte, denn er stand in der Nähe des alten Ratshauses wo zeitweise auch Gericht gehalten wurde. Schweizweit zählen Gerechtigkeitsbrunnen zu den häufigsten Motiven und sie finden sich bevorzugt in der Nähe von Ratshäuser. Geschaffen wurde das Winterthurer Exemplar vermutlich vom Brunnenmeister Hans Hiltprant, der in Winterthur mehrere solche Aufträge ausgeführt hat.

Die sehende Justitia

Der Justitia-Brunnen ist reich verziert: Der Trog besteht aus Muschelkalkplatten, die von starken Eisenbändern zusammengehalten werden. Den Sockel der Mittelsäule schmücken zwei ineinander verschlungene Delphine, aus deren Mäulern das Wasser aus Bronzeröhren sprudelt. Über ihnen befinden sich Muscheln und ein geschwungenes Gesims, dass die Basis einer kannelierten ionischen Säule bildet auf deren durch Girlanden geschmücktem Volutenkapitell die Statue der Justitia thront.

Die römische Justitia (röm.) fand in der Antike Verehrung als Göttin der Gerechtigkeit. Im Verlauf der Zeit kam es immer wieder zu Vermischungen mit den griechischen Göttinnen Themis und Dike. Während erstere für die göttliche Ordnung stand, repräsentierte Dike die strafende und rächende Gerechtigkeit. Diese Zuschreibungen wurden in die christliche Ikonographie integriert. Justitia ist seither keine Göttin mehr, sondern die Personifikation des Rechtswesens und der Gerechtigkeit.

Ikonographisch weist die Winterthurer Justitia einige Besonderheiten auf, denn sie wird im Gegensatz zu vielen anderen Statuen nicht blind dargestellt. Die Erblindung der Justitia erfolgte schleichend und zwar gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Damals wurde es üblich sie einäugig, ohne Augen oder mit Augenbinde darzustellen. Als Symbol soll sie den Anspruch verdeutlichen, dass das Recht unabhängig vom Rang und der Macht einer Person gesprochen werden soll.

Die beiden anderen Hauptattribute der Justitia sind die Waage und das Richtschwert. Die Waage steht für das Gleichgewicht zwischen individuellen Bedürfnissen und jenen der Gesellschaft. Die Richterinnen und Richter müssen bei ihrer Urteilsfindung verschiedene Beweise und Fakten gegeneinander abwägen. Das Richtschwert seinerseits steht für die richterliche Autorität und die Macht des Gesetzes. Es verweist aber auch auf den Anspruch, dass die Gerechtigkeit schnell wiederhergestellt werden muss und sich ein Richtspruch als endgültig zu erweisen hat. Für Diskussionen sorgt immer wieder das entblösste Knie der Justitia. Mit dem angewinkelten Knie gleicht die Justitia ihre Körperhaltung aus – weshalb es als Symbol für Gerechtigkeit und Fairness interpretiert wird.

Weitere Besonderheiten der Winterthurer Justitia sind ihre zusätzlichen Attribute: So sitzt ihr ein schwarzer Adler zu Füssen, neben dem Schwert trägt sie auch einen Schild und auf ihrem Haupt trägt sie einen  Helm. Es handelt sich um Attribute, die vor allem mit Pallas Athene assoziiert werden, ob aber wirklich ein Bezug besteht, ist unklar. 

Öffentliche Bestrafung am Brunnen

1638 erhielt der Brunnen eine Eisenvorrichtung, an welche Personen zur Strafe angebunden wurden, die gegen die Brunnenordnung verstossen oder den Brunnen verschmutzt haben sollen. Da das Wasserholen eine typische Frauenarbeit war, wurden häufig Mägde solcher Vergehen bezichtigt. Ohnehin gerieten Winterthurerinnen und Winterthurer immer wieder in Konflikt mit den Behörden aufgrund der Wassernutzung.

1664 beauftragte die Stadt den Brunnenmeister Michel Meyer von Lenzburg mit der Renovation des Justitia-Brunnens. Vermutlich im 18. Jahrhundert wurde dann der gesamte Brunnen und auch die Statue grundlegend erneuert und auch frisch bemalt. 1748 erhielt er ein oktogonales Becken, der vermutlich vom Holderbrunnen stammt.

Verbannung aus der Altstadt

Während die Brunnen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit die primäre Frischwasserquelle für die Bevölkerung darstellten, verloren sie mit der Einführung der modernen Wasserversorgung in den 1870er-Jahren schnell an Bedeutung. In der beengten Altstadt standen sie zudem zunehmend den Fuhrwerken und später auch Autos im Weg. Um Platz zu schaffen, verbannte die Stadt ihre Laufbrunnen allesamt aus dem Stadtkern. Der Justitia-Brunnen liess sie 1872 an den Holderplatz bei der Technikumstrasse versetzen. Nach der Annahme der Autofreien Altstadt kehrte der Justitia-Brunnen 1978 wieder in die Marktgasse zurück.

Gautschen

In Winterthur wurde lange Zeit durch die Buchdruckerei Ziegler eine alte Buchdruckertradition gelebt, das sogenannte «Gautschen». Dabei wurden die erfolgreichen Lehrabgänger:innen der Druckerei von ihren Mitarbeitenden gepackt und vor versammeltem Publikum in den Justitia-Brunnen geworfen. Die Abgänger:innen wussten dabei nur, dass dieses Ritual irgendwann erfolgen wird, jedoch jeweils nicht an welchem Tag. Der Begriff «Gautschen» verweist auf den ersten Entwässerungsschritt bei der Herstellung von Papier. Auch die Mattenbach AG hält an dieser Tradition fest.


Benutzte Quellen und weiterführende Literatur

Archivalien
Stadtarchiv Winterthur, Karl Keller: Winterthurer Brunnen (Signatur  A 23/40)

Literatur
Verein Frauenstadtrundgang Winterthur: Schauplätze. Der Verein Frauenstadtrundgang inszeniert Geschichte(n), Zürich 2015.
Ganz, Werner: Winterthur. Einführung in seine Geschichte von den Anfängen bis 1798, Winterthur 1961.
Dejung, Emanuel/Zürcher, Richard: Brunnen, in: Die Kunstdenkmäler des Kantons Zürich. Band VI. Die Stadt Winterthur, Basel 1952, S. 40–44.
Troll, Johannes Conrad: Geschichte der Stadt Winterthur nach Urkunden bearbeitet. Dritter Teil, Winterthur 1843, S. 57–62.
 

Bibliografie


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
22.01.2024