Wissenschaft

Karl Emanuel Steiner

Arzt, Politiker (1771–1846)

Karl Emanuel Steiner war Arzt und Staatsmann. In Winterthur und im Kanton Zürich besetzte er zu Zeiten der Helvetischen Republik und der Mediation wichtige politische Ämter. So war er Statthalter des Bezirks Winterthur und später Oberamtmann von Winterthur. Daneben führte er seine eigene Arztpraxis in Winterthur.


Geburtsort
Winterthur

Geboren
26.02.1771

Gestorben
26.02.1846


Adresse
Haus zur Hoffnung
Marktgasse 24
8400 Winterthur

Das politische Engagement von Karl Emanuel Steiner fiel in eine Phase des Umbruchs zwischen Helvetischer Republik und der Mediationsverfassung. Fotografie eines unbekannten Porträts, um 1820
Foto: winbib (Signatur 172537)

Kindheit und Jugend

Karl Emanuel Steiner wurde 1771 in Winterthur geboren. Sein Vater Melchior Steiner war Kaufmann und Fabrikant. Er ermöglichte seinen Kindern den Zugang zu einer guten Ausbildung. Für drei Jahre lebte die Familie in Zofingen, der Heimatgemeinde von Steiners Mutter. Dort baute sein Vater gemeinsam mit Geschäftspartnern eine Seidenbandfabrik und das Handelshaus «Senn» auf. Danach kehrte die Familie nach Winterthur zurück, wo Karl Emanuel Steiner auch die Schule besuchte. Als er dreizehn Jahre alt war, verstarb überraschend sein Vater. Dieser hatte eine wissenschaftliche Laufbahn für seinen Sohn ins Auge gefasst – eine Karriereplanung, die Karl Emanuel dann mit Zustimmung seiner Mutter weiterverfolgte. Am Gymnasium wählte er das altsprachliche Profil. Seine Studien setzte er später am Collegium humanitatis in Zürich fort. Dabei handelte es sich um eine philosophisch-theologische Hochschule, aus der später die Theologische Fakultät der Universität zurück hervorgehen sollte. 

In Zürich trat Steiner in die Knabengesellschaft ein und vernetzte sich. Das Schicksal wollte es, dass er eines Tages einen ertrinkenden Kameraden aus der Sihl zog. Beim Geretteten handelte es sich um Johann Caspar Lavater, den späteren Zürcher Staatsschreiber.

Studium in Zürich und Jena

Neben den Studien der alten Sprache erhielt Karl Emanuel Steiner auch Privatunterricht in Mathematik und Physik und wohnte im Haus seines Professors. 1782 trat er in das medizinisch-chirurgische Institut in Zürich ein, wo er zwei Jahre lang studierte und mit einer Abhandlung über die Krankheiten des Herzens für Aufsehen unter den Professoren sorgte. In den nächsten Jahren setzte er seine Studien an der Universität Jena fort. 

Diese Universität besass damals einen ausgezeichneten Ruf als medizinische Lehrstätte. Dort lebte und lernte er bei dem berühmten Medizinprofessor Johann Christian Stark. In seiner Zeit in Jena kam er mit anderen bedeutenden Männern in Kontakt, darunter mit Friedrich Schiller, den er zeitweise als Patienten pflegte, dem Schriftsteller Christoph Martin Wieland und dem Philosophen Johann Gottfried Herder. Auch besuchte er Vorlesungen beim Philosophen Karl Leonhard Reinhold, der den jungen Mediziner mit den Lehren Kants vertraut machte. Obwohl dieses hochkarätige Netzwerk aus Intellektuellen reichlich Potenzial für Ablenkung bot, konzentrierte sich Steiner auf sein Studium und legte nach vier Semestern seine Dissertation ab. 1792 reiste er nach Berlin. Die preussische Hauptstadt war damals mitten in die Kriegswirren der französischen Revolution verstrickt und bereitete sich gerade auf einen Feldzug vor. Steiner schlug das lukrative Angebot aus, diesen als Militärarzt zu begleiten. Stattdessen zog es ihn nach Wien ehe er 1793 nach Winterthur zurückkehrte.

Eigene Praxis in Winterthur

In seiner Heimatstadt eröffnete er seine eigene medizinische Praxis und publizierte nebenher verschiedene medizinische Abhandlungen. 1793 heiratete er Ursula Blum. Schon bald zog es ihn in öffentliche Ämter. Kurz nach seiner Ankunft wurde er in den Schulrat gewählt. Steiner zeigte ein ausgeprägtes politisches Gespür und lebte das damalige bürgerliche Ideal. Eine wichtige Rolle in seinem Leben spielte auch sein reformierter Glaube. Er gehörte zu den Initianten und Gründern der Hülfsgesellschaft Winterthur. Besonders die Schulen und Waisenhäuser lagen ihm am Herzen. Immer wieder besuchte er die Institutionen und setzte sich für die Verbesserung der Zustände in ihnen ein. Obwohl er sich bald politisch engagierte, betrieb er seine Praxis weiter. Er wohnte mit seiner Familie im «Haus zur Hoffnung» an der Marktgasse 24.

Politiker zur Zeiten der Helvetischen Republik

1798 folgte die Wahl in den Grossen Rat, dem er 38 Jahre lang angehören sollte. Inhaltlich beschäftigte er sich vor allem mit polizeilichen und administrativen Angelegenheiten, die seine politische Laufbahn prägen sollten. Seine Wahl fiel in die politisch unruhige Zeit der Helvetischen Republik, die von der französischen Okkupation und dem Niedergang des Ancien Régime geprägt war. Es war eine Zeit des politischen Umsturzes und Winterthur litt unter der Anwesenheit französischer Truppen, die in den verschiedenen Familienhäusern einquartiert waren und verköstigt werden mussten. Karl Emanuel Steiner übernahm in dieser Zeit das Amt des Statthalters für den Bezirk Winterthur und trat als geschickter Vermittler auf. 1804 musste er auch militärische Verantwortung übernehmen, als eine Gruppe von herumziehenden Scharen die Stadt Winterthur bedrohte. Er hielt die Stellung bis zur Ankunft der eidgenössischen Truppen. Keine Freunde machte er sich 1806 mit der pflichtbewussten Durchsetzung der französischen Kontinentalsperre, die besonders die Winterthurer Textilindustrie und den Textilhandel hart traf, da nun keine englischen Maschinen mehr importiert und kein englisches Garn mehr gehandelt werden konnte. Politisch war Steiner ein überzeugter Förderalist und setzte sich für eine starke Kantonsgewalt ein. Gleichzeitig trat er der Helvetischen Gesellschaft bei. 

1814 wählten die Stimmberechtigten Karl Emanuel Steiner in den neu gegründeten Zürcher Regierungsrat. Dort half er vor allem auch beim Aufbau und der Organisation des Zürcher Sanitätswesens. 1819 wurde er Oberamtmann von Winterthur, womit ihm auch richterliche Aufgaben übertragen wurden. Damit wurde er zu einem einflussreichen Akteur während der Mediationsphase. 1831 zog sich der 60-jährige mit Ausnahme vom Grossen Rat von seinen politischen Ämtern zurück. Dafür wurde er als erstes weltliches Mitglied in die Bezirkskirchenpflege aufgenommen. 

Ein verhängnisvoller Wintertag

Nachdem er seine politischen Verpflichtungen abgegeben hatte, fand Steiner Zeit für Reisen nach Deutschland und Wien, wo er seine Kontakte zu den führenden Intellektuellen pflegte. In Winterthur widmete er seine Zeit wieder ganz der Schule. 1840 vikarisierte er gar als Oberlehrer der Töchterschule. 1842 hielt er in Winterthur die Eröffnungsrede für das neue Knabengymnasium und Bibliotheksgebäude.

Im Januar 1846 war Steiner in Seuzach unterwegs, weil er dort nach einem seiner Mündel schaute. Auf dem Rückweg wurde er auf die Dorfjugend aufmerksam, die sich um eine Eisfläche versammelt hatte. Darunter befanden sich auch seine Enkelkinder. Einige Kinder spielten mit einem sogenannten «Windschlitten». Dabei sass ein Kind jeweils auf dem Schlitten und musste sich möglichst lange darauf halten, während die anderen Kinder an einem langen Seil zogen und den Schlitten mit möglichst grosser Geschwindigkeit im Kreis übers Eis schleuderten, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Steiner, der zu diesem Zeitpunkt bereits über ein sehr schwaches Augenlicht verfügte, erkannte nur die Menschentraube und bewegte sich auf den Schlitten zu, ohne das Seil zu sehen. Er wurde davon erfasst und von den Füssen gerissen. Dabei schlug er so unglücklich mit dem Hinterkopf auf dem Eis auf, dass er pflegebedürftig wurde und einige Wochen später seinen Verletzungen erlag.


Benutzte und weiterführende Literatur

Gantenbein, Urs Leo: Schwitzkur und Angstschweiss. Praktische Medizin in Winterthur seit 1300 (327. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur), Zürich 1997.
Bütikofer, Alfred/Suter, Meinrad: Winterthur im Umbruch. 1798 bis 1848 (329. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur), Zürich 1998.
Suter, Meinrad: Winterthur 1798–1831. Von der Revolution zur Regeneration (323. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur), Zürich 1992.
Alt-Winterthurer Wohnkultur, in: Neue Zürcher Zeitung, 02.07.1967.
J.M.Z.: Carl Emanuel Steiner, in: Verhandlungen der Schweizerischen Naturforschenden Gesellschaft Band 41, 1846, S. 307–320. (Aufrufbar über e-periodica.ch)

Bibliografie

    Steiner, Karl Emanuel, 1771-1846, Dr. med., Oberamtmann

    • Einträge 1991–2010

      In: Der Bockenkrieg 1804 : Aspekte eines Volksaufstandes / hrsg. von Joseph Jung ; unter Mitarbeit von Michael Hess. Zürich, 2004.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
08.09.2023