Kunst und Kultur

Katharina Hardy

Violinistin, Holocaust-Überlebende, 1928–2022

Katharina Hardy wuchs in Ungarn auf. Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurde sie im Zweiten Weltkrieg in das Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. 1945 wurde sie von britischen Truppen befreit. In den 1950er-Jahren floh sie aus dem kommunistischen Ungarn in die Schweiz. Als studierte Violinistin spielte sie über 15 Jahre lang im Orchester des Musikkollegiums in der zweiten Geige mit, lange Zeit als Stimmführerin. Daneben unterrichtete sie am Konservatorium. 1987 rief sie das Goppisberger Musikfestival mit seiner Sommerakademie ins Leben.


Geburtsort
Budapest

Geboren
07.11.1928

Gestorben
07.08.2022


Katharina Hardy, 2021
Foto: zvg. Privatarchiv Familie Hardy

Die Schrecken des Holocaust überlebt

Katharina Hardy wurde 1928 in Budapest als jüngere von zwei Schwestern geboren. Sie wuchs in einem liberalen jüdischen Elternhaus auf. Schon früh interessierte sie sich für Musik und wollte Geigerin werden. 1938 trat sie in die Franz-Liszt-Musikakademie ein. Doch bereits ein Jahr später wurde ihr als Jüdin der Zutritt zur Akademie und zu christlichen Schulen verboten. Sie nahm deshalb Privatunterricht und besuchte das jüdische Gymnasium.

 

Am 19. März 1944 marschierten die deutschen Truppen in Ungarn ein. Die Repressionen gegen die Juden nahmen zu – sie mussten den Judenstern tragen und in markierten Häuser wohnen, und sie durften den öffentlichen Verkehr nicht mehr benutzen. Kurze Zeit später wurden Katharina Hardys Grosseltern und weitere Angehörige nach Auschwitz deportiert und ermordet. Schliesslich wurde auch Katharinas Vater abgeholt. Nur wenige Tage später – es war der November 1944 –  wurde die damals 16-jährige von den Nationalsozialisten gemeinsam mit ihrer Mutter auf einen sogenannten Todesmarsch gezwungen. Dabei wurden sie von der älteren Schwester getrennt. Unter unmenschlichen Bedingungen und in klirrender Kälte mussten die Gefangenen von Lager zu Lager marschieren.

 

Ihre Mutter erkrankte unterwegs an der Ruhr und konnte nicht mehr weitergehen. Katharina Hardy versuchte ihr beizustehen, wurde aber von Soldaten mit Peitschenhieben zum Weitergehen gezwungen –  sie sah ihre Mutter nie wieder. Am 7. Januar 1945 endete der Todesmarsch im Konzentrationslager Ravensbrück. Als sich die Frontlinien immer mehr näherten, wurde Katharina Hardy in das Vernichtungslager Bergen-Belsen verlegt.

Befreiung und Rückkehr nach Budapest

Im April 1945 wurde sie gemeinsam mit 50'000 Mithäftlingen von britischen Truppen befreit. Der Umstand, dass ihre Aufseher sie für tot hielten, rettete ihr vermutlich das Leben. Katharina Hardy wog damals noch 29 Kilogramm und hatte alle Haare verloren. Sie wurde vom britischen Militär in ein Lazarett gebracht und medizinisch versorgt. Als sie wieder in der Lage war zu gehen, machte sie sich auf die Suche nach ihren Angehörigen. Damals wurden Listen mit den Überlebenden aus den verschiedenen Lagern angefertigt, und auf einer solchen fand sie den Namen ihres Vaters. Vater und Tochter fanden sich 1946 bei den Ruinen ihres ehemaligen Hauses wieder. Erst Jahrzehnte später hatten sie die traurige Gewissheit, dass sie die einzigen beiden Überlebenden ihrer Familie waren.

 

Katharina Hardy liess sich gemeinsam mit ihrem Vater wieder in ihrem zerbombten Haus in Budapest nieder. Ihr Vater konnte seine alte Stelle als Buchhalter wieder antreten und Katharina Hardy setzte ihre Ausbildung im Gymnasium und anschliessend an der Franz-Liszt-Musikakademie fort, wo sie sich zur Geigerin ausbilden liess. In Budapest lernte sie auch ihren späteren Ehemann Erwin Hardy kennen, mit dem sie drei Kinder hatte.

Ein Leben für die Musik

Nach Abschluss ihrer Ausbildung fand Katharina Hardy eine Anstellung als Geigerin beim ungarischen Militär. Das kommunistische Regime und die sowjetische Besatzung waren der jungen Familie jedoch zuwider, und so fasste sie 1956 den Entschluss, in die Schweiz zu fliehen. Zu Fuss überquerten sie die Grenze nach Österreich und reisten von dort aus in die Schweiz. Sie kamen zuerst in Regensdorf unter, wo Katharina Hardy ab und an die nahegelegene Strafanstalt besuchte, um einigen Häftlingen Geigenunterricht zu geben. In den 1960er-Jahren machte sich Katharina Hardy als Solo- und Konzertgeigerin einen Namen und hatte Auftritte im In- und Ausland. Sie spielte im Zürcher Kammerorchester sowie im Opernhaus und in der Tonhalle Zürich. Von 1966 bis 1984 war sie Mitglied im Orchester des Musikkollegiums, ab 1972 Stimmführerin der zweiten Violinen. Von 1978 bis 1994  unterrichtete sie eine Violinklasse am Konservatorium Winterthur. Disziplin war für sie immer sehr wichtig – eine Eigenschaft, die ihre Mutter immer von ihr eingefordert hatte.

 

1987 gründete Hardy im kleinen walliser Dorf Goppisberg den Verein «Goppisberg Musikfestival und Akademie». Dies war ein Familienprojekt, neben Katharina Hardy waren ihre Tochter und eine Enkelin beteiligt. Katharina Hardy gab dort bis ins hohe Alter noch Unterricht. Die ursprüngliche Idee hinter der Sommerakademie war es, musikalisch talentierte Jugendliche während den Sommerferien drei Wochen lang zu unterrichten.

Engagement gegen das Vergessen

Lange hatte Katharina Hardy über ihre Erlebnisse im Zweiten Weltkrieg geschwiegen. Auch innerhalb der Familie wurde kaum über das Thema gesprochen. Erst um 2017 begann sie sich öffentlich zu ihrer Geschichte zu äussern und besuchte in der Folge auch Schulklassen, um über den Holocaust zu sprechen. Katharina Hardy starb am 5. August 2022. 

2023 wurde beim Bahnhof Grüze eine Strasse nach ihr benannt. 





Benutzte und weiterführende Literatur

Müller, Simone: «Eigentlich gehöre ich zu den Toten im KZ Bergen-Belsen», swissinfo.ch, 09.12.2022.
Büttiker, Herbert: Die zwei Leben der Katharina Hardy, Der Landbote, 18.08.2022.
Bütler, Remi: KZ-Überlebende: «Ich werde den Deutschen nie verzeihen», SRF-News, 27.01.2022.
Zeugen der Zeitzeugen: Interview mit Katharina Hardy, Überlebende der KZs Ravensbrück und Bergen-Belsen, Filmdokumentation, YouTube, 2022.
Schmid, Andreas: Holocaust-Überlebende Katharina Hardy: «Ich habe fürchterliche Schuldgefühle, weil ich meine Mutter zurückgelassen habe», NZZ-Magazin, 28.12.2019.
Würzer, Siri: “Bitte Gott, schicke keine Bombe, ich habe noch gar nicht gelebt”, kantilive.ch, 03.06.2019.
Prenzel, Hanna/ Schleicher, Caspar/ Westphal, Janis/ Wolpers, Constanze: Unsere Großmutter war im KZ, Dokumentationsfilm, in: fluter.de, 27.08.2018 

Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
04.09.2023