Politik

Ludwig Forrer

Anwalt, Politiker, Bundesrat (FDP), 1845–1921

Ludwig Forrer war von 1902 bis 1917 Bundesrat. Er gehörte der demokratischen Bewegung an und betrieb in Winterthur lange Zeit ein Anwaltsbüro. Vor seiner Wahl in den Bundesrat sass er im Kantons- und Nationalrat. Politisch engagierte er sich für die Einführung der Unfall- und Krankenversicherung. Als Bundesrat war er massgeblich an der Aushandlung des Gotthardvertrags beteiligt.


Geburtsort
Islikon

Geboren
09.02.1845

Gestorben
28.09.1921


Mit Winterthur fühlte sich Ludwig Forrer nicht übermässig verbunden. Wichtig für ihn war die Demokratische Bewegung.
Foto: winbib (Signatur 171145)

Kindheit und beruflicher Werdegang

Ludwig Forrer kam am 9. Februar 1845 in Islikon (TG) zur Welt, wo sein Vater eine mechanische Werkstätte betrieb. Als Forrer fünf Jahre alt war, verstarb der Vater und so lebte er fortan mit seiner Mutter und seinen drei Geschwistern in bescheidenen Verhältnissen. Nach der Sekundarzeit besuchte er das Gymnasium in Frauenfeld und zählte dort zu den Mitbegründern der Schülervereinigung Thurgovia.

Danach studierte er von 1863 bis1867 Rechtswissenschaften an der Universität Zürich, ohne jedoch einen Abschluss zu machen. In dieser Zeit amtete er als Zentralpräsident der Studentenverbindung (Neu-)Zofingia. 1867 wurde er Leutnant bei der Kantonspolizei und nur drei Jahre später Staatsanwalt. 1873 eröffnete er ein Anwaltsbüro in Winterthur, das er bis 1900 führte. Die Wahl fiel vermutlich einerseits aus familiären Gründen auf die Eulachstadt – sein Schwiegervater war als Rektor der höheren Stadtschulen tätig. Anderseits war Winterthur damals die Hochburg der demokratischen Bewegung. In Winterthur wohnte er mit seiner Familie im «Lindenhof» am Oberen Graben 50. 

Ludwig Forrer und Winterthur

In Winterthur stellte sich Forrer für einige Schulämter zur Verfügung und setzte sich für den Bau des kantonalen Technikums ein, zu dessen Hauptbefürworter sein früh verstorbener Schwiegervater Johann Jakob Dändliker gezählt hatte. Weiter engagierte er sich für den kostenlosen Zugang zu Lehrmitteln und Schreibmaterialen in den Schulen – ein Anliegen, das kurzzeitig auch umgesetzt wurde, dann aber in Folge des Nationalbahndebakels sistiert werden musste. Von 1883 bis 1889 politisierte Forrer im Winterthurer Gemeindeausschuss, einem Vorläufer des Grossen Gemeinderats. Dort setzte er sich für ein Abstimmungsobligatorium ein, da er der Überzeugung war, dass eine Demokratie nur längerfristig überdauern könne, wenn die Meinung aller Stimmberechtigten bei den Abstimmungen zum Ausdruck kommt. Seine Vorlage wurde jedoch abgelehnt. Ludwig Forrer engagierte sich zudem als Anwalt für die Nationalbahn und versuchten den drohenden Liquidationsentscheid hinauszuzögern, indem er diesen bis vor Bundesgericht zog. Danach setzte er sich auch im Kantons- und Nationalrat für die Interessen der Stadt Winterthur ein.

Politische Laufbahn auf kantonaler und nationaler Ebene

Ab 1868 arbeitete Ludwig Forrer im Zürcher Verfassungsrat als erster Sekretär. 1870 schaffte er die Wahl in den Zürcher Kantonsrat. Dort avancierte er schnell zu einem der einflussreichsten Parteiführer. Darüber hinaus ist bis heute der einzige Politiker, der viermal mit dem Kantonspräsidium betraut wurde. 1879 schlug der 34-jährige Anwalt eine Anfrage zur Kandidatur für den freiwerdenden Sitz des im Amt verstorbenen Winterthurer Bundesrates Johan Jakob Scherer aus.

Von 1881 bis 1900 sass Forrer im Nationalrat, wo er als engagierter Verfechter der radikal-demokratischen «Winterthurer Schule» auch als «Löwe von Winterthur» bezeichnet wurde. Er setzte sich für die Erweiterung der demokratischen Volksrechte ein und befürwortete staatliche Massnahmen zur Lösung der «sozialen Frage». Besonders am Herzen lag Forrer die Einführung der Unfall- und Krankenversicherung, dies nicht zuletzt auch aufgrund seiner beruflichen Erfahrung:  Als Jurist hatte er immer wieder verunfallte Arbeiter vor Gericht vertreten. Er verfasste einen entsprechenden Gesetzesentwurf, der 1900 vors eidgenössische Stimmvolk kam. Die «Lex Forrer» wurde allerdings vom Volk wuchtig verworfen, was ein schwerer Schlag für ihn war und zu einer Polarisierung in der damaligen Politlandschaft führte. Forrer trat enttäuscht aus dem Nationalrat und der Politik zurück. Noch im selben Jahr ernannte ihn der Bundesrat zum Direktor des Zentralamts für den internationalen Eisenbahnverkehr in Bern.

Wahl in den Bundesrat

Nach dem überraschenden Tod von Bundesrat Walter Hauser wurde Ludwig Forrer von seinen Parteifreunden zur Kandidatur aufgefordert. Er zögerte, denn er hatte finanzielle, familiäre und persönliche Bedenken und das vakante Finanzdepartement kam für ihn nicht in Frage. Schliesslich kandidierte er doch und erhielt die einstimmige Unterstützung vom radikal-demokratischen Flügel. Bereits im ersten Wahlgang wurde Ludwig Forrer mit 113 Stimmen in den Bundesrat gewählt. Mit seinen 58 Jahren war er deutlich älter als alle seine Vorgänger. Forrer verfügte über keine Verwaltungserfahrung und seine Sachkenntnisse beschränkten sich auf das Justiz- und Polizeidepartement und das Eisenbahnwesen. Durch stetigen Wechsel lernte er letztlich mit Ausnahme des Finanzwesens alle Departemente kennen. Er sah seine eigene Funktion im Bundesrat eher als jene des Verwalters. Schon kurz nach seinem Antritt hatte er in einer Rede in Winterthur klargestellt, dass von seiner Seite «keine grossen Aktionen» zu erwarten seien.

Forrer als Bundesrat

1906 und 1912 war Forrer Bundespräsident und damit für die Aussenpolitik zuständig. Die Diplomatie machte ihm allerdings keine Freude und repräsentative Anlässe waren ihm geradezu ein Graus. Er unterhielt aber gute Beziehungen zu Diplomaten mit ähnlich gelagerten Interessen. Anlässlich der Simplon-Feierlichkeiten 1906 empfing Forrer den deutschen Kaiser und konnte dort die Schweizer Interessen überzeugend vertreten.

1908 übernahm Forrer die Leitung des Post- und Eisenbahndepartements. Dort beschäftigte er sich mit wichtigen Aufgaben wie der Reorganisation und Elektrifizierung der SBB sowie dem Kampf um den Gotthardvertrag. Hier musste die Schweiz gegenüber Deutschland und Italien empfindliche Konzessionen machen. Dies führte zu erhitzten Gemütern in der Schweizer Politik. Insbesondere in der Westschweiz, aber auch unter den Sozialdemokraten wude heftige Kritik laut und Forrer sah sich gar mit üblen Schmähungen konfrontiert, die bis zum Vorwurf des Landesverrates reichten.

Während des Ersten Weltkriegs demonstrierte der Bundesrat gegen aussen Geschlossenheit. Innerhalb des Kollegiums verlor Forrer aber zunehmend an Einfluss.

Rücktritt

Ludwig Forrer wollte 1917 erneut kandidieren, um bis zum Kriegsende im Amt zu verbleiben. Aufgrund des Rücktrittes von Arthur Hoffmann wäre Forrer wieder das Amt des Vizepräsidenten zugefallen, allerdings erhob sein Bundesratskollege und ehemaliger Zofinger-Kamerad Gustave Ador ebenfalls Anspruch darauf. Ador überredete Forrer zum sofortigen Rücktritt, indem er einwilligte, den 72-jährigen und inzwischen gesundheitlich angeschlagenen Magistraten wieder auf seinen alten Posten als Direktor des Zentralamts für internationalen Eisenbahnverkehr zu setzen. Ludwig Forrer war auf diesen Posten angewiesen, da er keine Ansprüche auf eine Pension hatte. Nur wenige Jahre später, 1921, verstarb Forrer während einer Operation wegen einem Krebsleiden.

Forrer hatte eine stille Bestattung gewünscht. Die Trauerfeierlichkeiten fanden in Bremgarten im Kreise der Familie und einiger politischer Weggefährten statt. Seine Asche wurde danach nach Winterthur überführt und im Friedhof Rosenberg beigesetzt. Die Stadt Winterthur liess 1945 am ehemaligen Wohnhaus der Familie am Oberen Graben 50 eine Gedenktafel anbringen. 

Obwohl sein Gesetzesentwurf zur Einführung einer Unfall- und Krankenversicherung damals scheiterte, wurden die Sozialversicherungen später weitgehend nach seinen Grundideen verwirklicht.

Nachlass

Der Nachlass von Ludwig Forrer befindet sich in der Handschriftenabteilung der Zentralbibliothek Zürich.

Benutzte und weiterführende Literatur

Labhart, Walter: Ludwig Forrer, in: Das Bundesratslexikon hrsg. von Urs Altermatt, Basel 2019, S. 240–245.
Labhart, Walter: Bundesrat Ludwig Forrer. 1845–1921, (Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur 303), Winterthur 1973.
Bucher, Erwin/Rentsch, Hans U. : Bundesräte aus Winterthur, in: Winterthurer Jahrbuch 1984, Winterthur 1984, S. 29–51.

Bibliografie

    Forrer, Ludwig, 1845-1921, Dr.iur., Bundesrat

    • Einträge ab 2011

      Schär, Markus: Das Zürcher Landstädtchen Elgg und die Anfänge Ludwig Forrers aus Islikon. In: Elgger / Aadorfer Zeitung, Nr. 83 (2017). S. 5. m.Abb.
      Schär, Markus: Elggs berühmter Advokat aus dem Thurgau. In: Elgger / Aadorfer Zeitung, Nr. 85 (2017) S. 5. m.Abb.
      Schär, Markus: Elggs Advokat im internationalen Rampenlicht. In: Elgger / Aadorfer Zeitung, Nr. 88 (2017) S. 4. m.Abb.
      Schär, Markus: Elggs berühmter Advokat und sein Ferienort. In: Elgger / Aadorfer Zeitung, Nr. 90 (2017) S. 4. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

      In: Die schweiz. Bundesräte, ein biogr. Lexikon. Hrsg. Urs Altermatt. Zürich, 1991. S.290-295 von Walter Labhart, m.Abb.
      Der Staatsbesuch (Kaiser Wilhelm II.): Tössemer 1994/3 von Hans Raas, m.Abb.
      Gedenkausstellung Islikon: Landbote 1995/45.
      L.F. und Einstein, in: Heinrich Zangger und die Berufung Einsteins an die ETH: Gesnerus, vol 53 (1996)/3 S.217 ff. von Heinrich A. Medicus.
      Chalets in Vättis. Verkauf durchdie Stadt: Landbote 2007/237.
      Briefmarken-Verfremdung, durch Georges Bretscher: Landbote 2010/106 von Peter Niederhäuser, 1Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
15.11.2022