Politik
Aurelia Favre
Telefonistin, Stadträtin (SP), *1949
Aurelia Favre wurde 1994 als erste Frau in den Winterthurer Stadtrat gewählt. Die SP-Vertreterin übernahm in der Folge das Schul- und Sportamt. In ihre Amtszeit fielen verschiedene grosse Projekte wie die kantonale Volksschulreform, die Schulbehördenreorganisation sowie mehrere Schulhausprojekte. 2001 trat sie vorzeitig zurück.
Geburtsort
Basel
Geboren
27.12.1949
Aurelia Favre wurde 1994 als erste Frau in den Stadtrat gewählt. Portrait aus dem Jahr 2000.
Foto: winbib, Marc Dahinden (Signatur FotDig_Lb_001-298)
Aurelia Favre wurde am 27. Dezember 1949 in Basel geboren. Sie war das älteste von drei Kindern und wuchs in Basel und Frauenfeld auf. Nach Sprachaufenthalten im Tessin und im Welschland absolvierte sie eine Lehre als Telefonistin bei der PTT in Winterthur. 1969 heiratete sie. Der Ehe entsprangen zwei Kinder, um die sich Favre ab 1979 als Alleinerziehende kümmerte. Daneben arbeitete sie in verschiedenen Berufen wie Telefonistin, Hortmitarbeitende, Bildereinrahmerin. Zeitweise war sie auch journalistisch tätig und arbeitete als Redakteurin bei der Winterthurer Arbeiterzeitung (AZ),danach trat sie eine Stelle als Gewerkschaftssekretärin bei der Gewerkschaft für Verkauf Handel Transport Lebensmittel (VHTL) an.
Durch ihre persönlichen Erfahrungen als Berufstätige und Alleinerziehende erwachte ihr Interesse an politischen Fragen. 1983 trat sie der Sozialdemokratischen Partei (SP) Winterthur bei und war eine der Mitbegründerinnen der SP Frauengruppe. Im Grossen Gemeinderat politiserte Favre nicht, dafür war sie Mitglied der Kreisschulpflege Veltheim und sass in der städtischen Kunstkommission. 1989 wurde sie als Nachfolgerin von Walter Ryser (SP) in den Zürcher Kantonsrat gewählt und wirkte auch als Präsidentin der kantonalen Begnadigungskommission.
Neben der Politik engagierte sie sich auch ehrenamtlich in der Stadt Winterthur. So war sie im Frauenhaus Winterthur tätig, erledigte Verwaltungsaufgaben für die Genossenschaft zum Widder, sass im Vorstand der Arbeitsgemeinschaft für Jugendprobleme (AGJP) und war Präsidentin einer Tagesstätte für Menschen mit einer Behinderung.
Erste Winterthurer Stadträtin
1994 wurde sie als erste und einzige Frau in den Stadtrat gewählt. Sie übernahm als Nachfolgerin von Walter Ryser (SP) das Departement Schule und Sport und war gleichzeitig Präsidentin des Schulrates. Während ihrer siebenjährigen Amtszeit war sie für eine Reihe von Grossprojekten zuständig, wie die laufende kantonale Volksschulreform, die Vorbereitungen für die Erstellung der Eissporthalle, die Reorganisation der Schulbehörden sowie Planungen für die Sanierung oder den Neubau von rund sieben Schulhäusern. Aurelia Favre stand als Vorsteherin der Schulbehörden immer wieder im Zentrum heftiger Kritik. Diese erreichte im Kontext des Geschäftes rund um die Beschaffung von Computern für die Winterthurer Schulen einen Höhepunkt. Weiter wurde sie für Bauverzögerungen bei der Eishalle verantwortlich gemacht. Gestritten wurde auch über den geplanten Schulhausbau Laubegg im Dättnau, wo der Grosse Gemeinderat das Budget um 2 Millionen Franken kürzte. Keinen Widerstand hingegen gab es an der Urne. Ihre zehn Vorlagen wurden vom Stimmvolk alle gutgeheissen.
Im Dezember 2000 gab Aurelia Favre ihren vorzeitigen Rücktritt bekannt. Als Grund gab sie einerseits gesundheitliche Probleme an und andererseits verwies sie darauf, dass die politischen Angriffe auf sie und ihre Mitarbeitenden unzumutbare Formen angenommen hätten. Die SP warf den Bürgerlichen vor, die SP-Stadträtin gezielt aus dem Amt gedrängt zu haben, um der Partei so den dritten Sitz zu entreissen. Das Schulamt übernahm interimistisch Hans Hollenstein (CVP). Danach folgte eine turbulente und umstrittene Ersatzwahl, bei der es zu Nachzählungen kam. Schliesslich setzte sich Pearl Pedergnana (SP) mit nur einer Stimme Vorsprung auf den SVP Kandidaten Jürg Stahl durch und übernahm die Nachfolge von Aurelia Favre.
Nach ihrem Rücktritt zog die inzwischen 51-jährige nach Frauenfeld. Dort begann sie zu Malen und modellierte mit Altpapier. Schon bald konnte sie eine erste Ausstellung realisieren. Danach zog sie für fünf Jahre nach Ascona und betrieb auch dort ihr Atelier. Nach der Geburt ihres ersten Enkelkindes kehrte sie nach Winterthur zurück und liess sich in einer kleinen Wohnung am Lindspitz nieder.
Benutzte und weiterführende Literatur
Gmür, Martin: Alt-Stadträtin und glückliche Nonna, in: Landbote, 06.10.2016.
Vorzeitiger Rücktritt der Winterthurer SP-Stadträtin Aurelia Favre. Persönlich eund gesundheitliche Gründe, in: Neue Zürcher Zeitung, 14.12.2000.
A.M.: Aurelia Favre. Begeisterung und Beifall, in: Neue Zürcher Zeitung, 07.03.1994.
- Autor/In:
- Nadia Pettannice
- Letzte
- Bearbeitung:
- 17.11.2022