Industrie- und Gewerbeanlagen

Haus zum Delphin (Nationalbankgebäude)

Stadthausstrasse 8-12

Der Abriss des Hauses zum Delphin am Merkurplatz wurde 1981 zum Wendepunkt in der Winterthurer Denkmalgeschichte. Was als bürgerliche Bauinitiative im 19. Jahrhundert begann, endete im Streit zwischen Heimatschutz, Stadt und Eigentümerin. Der Fall machte sichtbar, wie ungeschützt historische Bauten damals waren.


Baujahr
1840

Abbruch und Neubau
1981


Adresse
Stadthausstrasse 12
8400 Winterthur

Das Haus zum Delphin auf einer Werbepostkarte des Hutgeschäfts Bliss um 1900.
Foto: winbib (Signatur 033956)

Vom Stadtgraben zur Prachtstrasse

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann Winterthur, ihre mittelalterlichen Mauern abzutragen und die Stadtgräben aufzufüllen. Das neu gewonnene Land wurde erstmals für den Wohnungsbau freigegeben. Entlang der ehemaligen Stadtgrenze entstand an der heutigen Stadthausstrasse eine Reihe repräsentativer Bauten des industriellen Winterthurs: das Stadthaus, das Knabengymnasium und mehrere Geschäftshäuser. Zu den ersten privaten Bauten an dieser neuen Prachtstrasse gehörte das 1840 errichtete Haus zum Delphin.

Bauherr war der württembergische Uhrenmacher und spätere Caféwirt David Hauser. Der Stadtrat lobte seine Investition und verkündete: «Durch die Baute des Herrn Hauser gewinnt die Anlage vor dem Schmidtor bedeutend an Schönheit.» Der Architekt war Carl Ferdinand von Ehrensberg. Errichtet wurde ein dreigeschossiger, repräsentativer Bau mit Schauseite und Mittelrisalit zum Merkurplatz hin. Stilistisch bewegte sich das Wohn- und Geschäftshaus zwischen Klassizismus und Neurenaissance. Im Sockelgeschoss lagen die Geschäftsräume, in den oberen Etagen grosszügige Wohnungen. Aufgrund der edlen Ausführung wurde das Haus schon 1952 kunsthistorisch als Bedeutend gewürdigt.

Stadtplanung im Betonfieber

Im Gegensatz zu Zürich verfügt Winterthur über keine klassische Bahnhofstrasse. In der Hochkonjunktur der 1950er-Jahre entstanden deshalb Pläne, grosse Teile der Altstadt und des Schöntal-Areals (heute Merkurplatz) radikal umzugestalten. Ein «cityähnliches Geschäftshausquartier» war vorgesehen: Alte Häuser sollten abgerissen und stattdessen Betonkomplexe mit Parkplätzen gebaut werden. Auch das Haus zum Delphin war davon betroffen – umgesetzt wurden die Pläne jedoch nie.

Heimatschutzgesellschaften intervenieren

1964 trat der Architekt Karl Keller das Amt des Stadtbaumeisters in Winterthur an. Er war damals noch Stadtbaumeister und Denkmalpfleger in Personalunion, denn eine städtische Denkmalpflege existierte bis 1990 nicht. Mit beschränkten Mitteln kämpfte er gegen geplante Abbrüche in der Altstadt. Gemeinsam mit dem Bauforscher Max Siegrist und dem Architekten Robert Steiner-Jäggli initiierte er 1970 die Gründung der Heimatschutzgesellschaft Winterthur. Der neue Verein engagierte sich für den Erhalt historischer Bausubstanz und forderte auf politischer Ebene die Einführung einer kommunalen Denkmalpflege.

Das Betonfieber trieb aber nicht nur die Stadt Winterthur um. Schweizweit geriet die historische Bausubstanz zunehmend in Bedrängnis. Viele Kantone hatten nur rudimentäre Raumplanungsgesetze, die der Bauwut der Nachkriegsmoderne nichts entgegensetzen konnten. In Zeiten akuter Wohnungsnot entwickelten sich ältere Immobilien zu interessanten Spekulationsobjekten. Alte Liegenschaften wurden aufgekauft und dann in den Leerstand versetzt um sie später gewinnbringend durch Neubauten zu ersetzen. 1972 reagierte der Bund auf diese Entwicklungen mit «dringlichen Massnahmen auf dem Gebiete der Raumplanung». Gebäude, die vor 1920 erstellt worden waren, konnten nun provisorisch unter Schutz gestellt werden – so auch das Haus zum Delphin, das 1974 als mögliches Schutzobjekt inventarisiert wurde.

Haus zum Delphin wird zum Zankapfel

Die damalige Eigentümerin war die Schweizerische Rentenanstalt. Sie informierte 1974 die Stadt Winterthur, dass sie das Gebäude durch einen Neubau ersetzen möchte. Die Nationalbank, die Rentenanstalt und die Stadt arbeiteten in dieser Zeit zusammen und wirkten auf die Umgestaltung des Schöntalareals in ein Geschäftsviertel hin. Um dieses Vorhaben umzusetzen wurde die Merkurstrasse aufgehoben, womit das Schicksal mehrerer historischer Altbauten besiegelt schien, darunter das Haus zum Delphin, das benachbarte Nationalbankgebäude, die Taverne zum Kreuz und das Restaurant Akazie.

Die Schweizerische Rentenanstalt investierte nichts mehr in den Unterhalt des Delphins. Das leerstehende Gebäude befand sich deshalb schon bald in sichtbar schlechtem Zustand. Dies provozierte 1977 eine Kleine Anfrage im Gemeinderat, wodurch die Stadt Stellung beziehen musste Die Stadt liess verkünden, dass sie das Dossier seinerzeit 1974 der Fachkommission zum Schutze des Stadt- und Landschaftsbildes vorgelegt habe. Diese anerkannte den historischen Wert des Gebäudes war aber gleichzeitig auch zum Schluss gekommen, dass sich das Gebäude städtebaulich nicht in ein modernes Gefüge einbinden lässt.

Gegen den geplanten Abbruch regte sich Widerstand von Seiten der Heimatschutzgesellschaft. Sie suchte das Gespräch mit der Schweizerischen Rentenanstalt, intervenierte politisch und sammelte Unterschriften gegen den Abbruch. Ebenfalls wählte sie den Rechtsweg. Auch ein Gutachten der kantonalen Denkmalpflege aus dem Jahr 1977 kam zum Schluss, dass das Gebäude erhaltenswert sei. Trotz diesen Bemühungen erteilte die Stadt 1978 die Abbruchbewilligung, die jedoch die kantonale Baudirektion im selben Jahr erst verweigerte, nur um kurze Zeit später doch noch einzuwilligen. Der Heimatschutz schöpfte darauf alle juristischen Mittel aus und versuchte den drohenden Abbruch bis zum Schluss zu verhindern. Gleichzeitig lancierte sie eine kommunale Volksinitiative zur Rettung der Baugruppe Delphin, Ecke Merkurstrasse/Stadthausstrasse.

Hausbesetzung als Protestform

In der Altstadt gab es mehrere Gebäude, die von den Eigentümern bewusst dem Verfall preisgegeben wurden um sie später abreissen zu können. Diese Liegenschaften standen oft leer. Gegen diese Praxis regte sich auch Widerstand von Seiten der Jugendbewegung, denn sie bangten um den günstigen Wohnraum und wehrten sich gegen den Bau von hochpreisigen Geschäfts- und Wohnhäusern. Am 1. Mai-Umzug von 1981 setzten sich einige junge Menschen vom Demonstrationszug ab und besetzte das Haus zum Delphin. Die Besetzenden erklärten den «Delphin» zum autonomen Kultur- und Wohnhaus mit Café und nannten es «Volkshaus». Sie wollten mit ihrer Aktion auf die problematischen Leerstände in der Altstadt aufmerksam machen. Nach gut einem Monat stellte die Rentenanstalt ihnen ein Ultimatum worauf sie friedlich abzogen.

Abriss mit Nachspiel

Am 2. Juni 1981 begannen die Abbrucharbeiten. Die Heimatschutzgesellschaft war empört – sie hatte ein noch hängiges Rekursverfahren angestrengt und ein temporäres Abbruchverbot erwirkt, das am 1. Juni in Kraft getreten war. Die Stadt wies die Vorwürfe ihrerseits als haltlos zurück und stellte sich auf den Standpunkt, dass der Abbruch rechtskonform erfolgt, respektive der Beschluss aus Zürich erst am 3. Juni in Winterthur eingetroffen sei, wo es schon zu spät war. Der Fall beschäftigte danach die Juristinnen und Juristen. Der Heimatschutzgesellschaft blieb nun aber nichts mehr anderes übrig, als sich um den Schutz der noch verbliebenden Taverne zum Kreuz und der Akazie zu kümmern – hier mit Erfolg. Das alte Bankgebäude, welches direkt neben dem Delphin stand wurde hingegen ebenfalls abgerissen. Hier gab es aber kaum Proteste, da es im Gegensatz zum Delphin nicht als architekturhistorisch bedeutend galt.

Vom Wendepunkt zur Denkmalpflege

Nach dem Abriss herrschte erstmals Stillstand. Die Baubrache wuchs langsam mit Gras zu und so weideten dort bald die Schafe. Erst 1991 war das neue Gebäude vollendet. Das Schicksal rund um das Haus zum Delphin wurde zum Sinnbild für die konfliktreiche Frühphase der Denkmalpflege in Winterthur. Als später immer mehr Industriebrachen entstanden, wuchs das Bewusstsein für das industrielle Kulturerbe. Politisch reifte die Einsicht, dass die Stadt eine eigene Denkmalpflege braucht. Am 1. April 1990 trat erstmals eine städtische Denkmalpflegerin ihr Amt an.


Benutzte und weiterführende Literatur

o.a.: Stellungnahme zum Abbruch des «Delphin», in: Der Landbote, 19.06.1981.
o.A.: Das langsame Sterben des «Delphin», in: der Landbote, 16.06.1981.
hpk: Widerrechtlicher Abbruch, in: Stadtanzeiger Winterthur, 11.06.1981.
o.A.: Das Haus zum Delphin in Winterthur. Plädoyer für die Erhaltung, in: Neue Zürcher Zeitung, 26.05.1981.
o.A.: Die Merkurstrasse soll aufgehoben werden, in: der Landbote, 10.03.1978.
Artikelsammlung zum Abbruch des Delphins, in: Dokumentation Urs Widmer, Bauwerke, Häuser und Villen St-Z 20.

Bibliografie

    Delphin, Geschäftshaus Stadthausstrasse 12

    • Einträge ab 2011

      Widmer, Urs: Das langsame Sterben des "Delphin". In: Dokumentation Urs Widmer, Bauwerke, Häuser und Villen St-Z 20 S.
      Garcia, Miguel: Vom Anfang des Besetzens. In: Coucou, Nr. 126 (2024). S. 8-15. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Neubau Rentenanstalt: Landbote 1991/83 1Abb., 84, 116 S. 25 f. von Albert Blatter, m.Abb., 117, 264 Versuch...die Wirkung von Architektur zu deuten, von Andreas Valda, m.Abb.
      Landbote 1999/183 1Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
11.10.2025