Alle Kategorien

Hort für Schulkinder

Die ersten Horte für Schulkinder in der Schweiz entstanden 1886 in Winterthur. Gegründet wurden sie durch die Hülfsgesellschaft Winterthur und fanden im Gebäude des Kindergarten Inneres Lind statt. 1957 übernahm das städtische Schulamt die bis dahin durch die Hülfsgesellschaft privat geführten Horte.


Gründungsdatum
1866


Winterthur als Pionierstadt der Hortgeschichte

Die ersten Horte für Schulkinder in der Schweiz entstanden 1886 in Winterthur. Zwar bestanden in Deutschland bereits ähnliche Einrichtungen, in der Schweiz aber war Winterthur die erste Stadt, in der ein Betreuungsangebot für Schulkinder entstand. Die Horte können als Reaktion auf die Befürchtung der bürgerlichen Oberschicht verstanden werden, dass Schulkinder, deren Eltern arbeitstätig waren, verwahrlosen könnten. Um die Jahrhundertwende war das Thema Betreuung von Schulkindern an allen wichtigen internationalen Kongressen zu Schul- und Fürsorgethemen sowie an der Weltausstellung 1900 in Paris vertreten.

Die Initiative für die Hortgründung in Winterthur ging vom Fabrikanten Johann Jakob Weber zur Schleife aus. Er regte 1884 in der Hülfsgesellschaft Winterthur an, sich um eine besser Beaufsichtigung von Kindern im schulpflichtigen Alter zu kümmern. Für Vorschulkinder betrieb die Hülfsgesellschaft bereits seit 1864 die Kleinkinderbewahranstalt im Töchterschulhaus am Kirchplatz (heute Gewerbemuseum), die 1877 zum ersten Fröbel-Kindergarten in Winterthur weiterentwickelt wurde und in das eigens dafür erbaute Kindergartengebäude Inneres Lind ein, welches später auch die Horte beherbergte.

Die Aufsicht und die Organisation übernahm das bereits bestehende Komité für Ferienkolonien der Hülfsgesellschaft, das gleichzeitig für die Ferienkolonien der Hülfsgesellschaft und die Milchstationen in den Schulferien zuständig war. Im Komitee waren verschiedene  international vernetzte, gemeinnützig engagierte und bekannte Winterthurer Persönlichkeiten vertreten, wie Johann Jakob Weber zur Schleife, Werner Sträuli, Pfarrer Otto Herold, der Präsident der Hülfsgesellschaft Winterthur und Präsident des Komité für Ferienkolonien war, sowie der ehemalige Stadtpräsident und Nationalrat Salomon Bleuler, der allerdings 1886 kurz nach der Gründung der Horte starb.

Hortbetrieb in den Anfangsjahren

Der erste Knaben- und der erste Mädchenhort in Winterthur öffneten am 4. Januar 1886 ihre Tore. Im Anfangsjahr besuchten 33 Knaben und 7 Mädchen die Horte, die in der Zeit nach Unterrichtsende von 16.00–18.00 Uhr in den vom Kindergarten am Abend nicht benutzten Räume des Kindergarten Inneres Lind stattfanden. 

Die Kinder wurden in den Horten nicht nur betreut, sondern die Horte galten als Ergänzung zum schulischen Bildungsauftrag. Sie sollten die Schule dort unterstützen, wo deren erzieherische und bildende Einfluss aufhörte – in der Freizeit, auf dem Schulweg, bei den Hausaufgaben und natürlich bei praktischen Arbeiten. Im Hort konnten die Kinder unter der Aufsicht der Hortleitenden Zvieri essen, Hausaufgaben erledigen, spielen, singen, basteln oder gärtnern. Entsprechend diesem hohen pädagogischen Anspruch wurden in Winterthur mehrheitlich Lehrer für die Knabenhorte und Kindergärtnerinnen für die Mädchenhorte eingestellt. Zu Beginn teilten sich elf verschiedene Lehrer der Primarschule die Leitung der Horte. Ein Jahr später übernahmen Konrad Wirth, ein Lehrer im Ruhestand und seine Frau Elise, die beide seit Jahren Ferienkolonien leiteten, die Hortleitung. Elise Wirth leitete den Mädchenhort, der zunächst bei ihr zu Hause stattfand, schliesslich aber wegen wachsender Besucherinnenzahlen ab 1888 ebenfalls in das Kindergartengebäude Inneres Lind zog.

Die Anmeldung der Schulkinder in die Horte erfolgte in der Regel über deren Lehrpersonen. Je nach Auslastung der Horte nahmen daraufhin Hortleitende oder Mitglieder des Komités vertiefte Analysen der Lebenssituation und der sozioökonomischen Verhältnisse der Familie vor. Die Horte sollten in erster Linie den armen Kindern offenstehen, deren Eltern arbeitstätig waren und sich nicht selber um ihre Kinder kümmern konnten. 

Expansion und Odyssee der Horte

1902 öffnete die Hülfsgesellschaft aufgrund von steigenden eine neue Abteilung in den Räumlichkeiten im Kindergarten Deutweg. Beiden Abteilungen platzten jedoch im Ersten Weltkrieges aus allen Nähten. Sie verzeichneten je über 60 Kinder, womit das durch das Komité festgelegte Maximum von 50 Kindern pro Abteilung weit überschritten war.

Nachdem die Stadt Winterthur 1925 die Kindergärten der Hülfsgesellschaft übernommen hatte, begann für die Horte eine regelrechte Odyssee der Örtlichkeiten. Die Horte standen zwar noch immer unter der Trägerschaft der Hülfsgesellschaft, waren nun aber in Bezug auf die Nutzung von geeigneten Räumlichkeiten von der Stadt abhängig. 1953 eröffnete die Hülfsgesellschaft auf Anregung des Schulamtes einen weiteren Hort im Schulhaus Tössfeld. Nachdem in Zürich gute Erfahrungen damit gemacht wurden, testete die Hülfsgesellschaft 1954 probeweise den Betrieb eines Tageshortes im Platanengüetli. Dieser Hort war nicht nur am Nachmittag nach Unterrichtsschluss, sondern bereits am Vormittag für Schülerinnen und Schüler offen, deren Unterricht erst später begann.

Schulergänzende Betreuung wird Aufgabe der Stadt

Die Finanzierung der Horte wurde für die Hülfsgesellschaft zunehmend schwierig und als schliesslich der Kanton 1956 beschloss, keine Zuschüsse für private Horte mehr zu gewähren, wurden die Horte kommunalisiert und ins öffentliche Schulwesen der Stadt integriert.

2009 beschloss der Grosse Gemeinderat, dass die Schulen in Winterthur mit wenigen Ausnahmen als freiwillige Tagesschulen geführt werden. Verstanden wird darunter eine Schule, in welcher die schulergänzende Betreuung ergänzend zum regulären Unterricht stattfindet. Speziell am Konzept der Tagesschulen ist die enge Zusammenarbeit zwischen Betreuung und Unterricht. Die Nutzung des Betreuungsangebotes (Morgenbetreuung, Mittagsbetreuung mit betreutem Essen und Nachmittagsbetreuung) ist nach wie vor freiwillig und kostenpflichtig.


Benutzte und weiterführende Quellen und Literatur:

Quellen
Sozialarchiv Zürich (SOZARCH), Signatur K 161 B: Komité für Ferienkolonien: Berichte über die Ferienkolonie am Hörnli sowie über die Milchstation und den Kinderhorte, 1886–1957.
Winbib M54° 237 / 5 Nr. 12 Protokollbuch Hülfsgesellschaft Winterthur 1879–1886.
Küttel, Caspar: Der Fröbel’sche Kindergarten in der Schweiz. Zürich 1882. 
Morf, Heinrich: Kurzer Bericht über das Ergebniss einer Reise nach Deutschland zum Besuche von Kindergärten im Juni 1874. In: Neujahrsblatt der Hülfsgesellschaft Winterthur 1875, S. 7–65.
Literatur
Staub, Mirjam: Betreuung – Erziehung – Bildung. Die Anfänge der Horte für Schulkinder in der Schweiz, 1880–1930, Zürich 2021.
Buomberger, Thomas: Helfen als Verpflichtung. Die Hülfsgesellschaft Winterthur 1812-2012. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Zürich 2011.
Rolle, Jürgen / Kesberg, Edith: Der Hort im Spiegel seiner Geschichte. Köln 1988.

Bibliografie


Autor/In:
Mirjam Staub
Letzte
Bearbeitung:
10.11.2023