Religiöse Gemeinden

Kloster Töss

Das Dominikanerinnenkloster in Töss war im Mittelalter eines der wichtigsten Frauenklöster der Schweiz. 1233 gegründet, entwickelte es sich zu einem bedeutenden Zentrum der Mystik. 1525 wurde es wie alle Zürcher Klöster nach der Reformation aufgelöst. Die ehemaligen Klostergebäude wurden nach dem Kauf des Geländes durch die Firma Rieter in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts abgerissen.


Die Stiftungsurkunde des Klosters Töss wurde am 19. Dezember 1233 von Bischof Heinrich von Konstanz unterzeichnet.
Quelle: Staatsarchiv des Kantons Zürich (Signatur: C II 13, Töss Nr. 1)

Die Entstehung des Klosters Töss

Als im Jahr 1229 Predigermönche aus Strassburg nach Zürich kamen, nahm Graf Hartmann IV. von Kyburg Kontakt zu ihnen auf. Diese Begegnung inspirierte ihn, ein Frauenkloster in Töss zu gründen. Politische Gründe hatten ebenfalls einen Einfluss: Durch die Stiftung des Klosters wollte er den sich ausdehnenden Gebietsansprüchen der Grafen von Rapperswil Einhalt gebieten. Die von Bischof Heinrich von Konstanz unterzeichnete Stiftungsurkunde für das neue Kloster ist auf den 19. Dezember 1233 datiert.

Als Ort wurde das Gelände bei der Tössbrücke gewählt, wo eine wichtige Strasse zwischen Konstanz und Zürich den Fluss überquerte. Zum Klosterbesitz gehörte von Anfang an auch die Mühle, die dort stand. Möglicherweise gab es schon vor der Stiftung des Klosters eine Gruppe von Frauen, die sich ein Kloster in der Region wünschten. Das Kloster wurde der Gottesmutter Maria geweiht und als Ordensregel wurde die Augustinusregel gewählt. Zu dieser Zeit gewann ein noch junger Bettelorden, gegründet von Dominikus, auch in der Schweiz an Einfluss. Spätestens ab 1235 betreuten Dominikaner aus Zürich als Prediger das Frauenkloster und im Jahr 1267 wurde das Kloster offiziell in den Dominikanerorden integriert. Für die Organisation des Klosterlebens und die Vertretung des Klosters nach aussen waren die Ordensfrauen von Anfang an selbst verantwortlich. Sie hatten auch das Recht ihre Priorin zu wählen.

Die Gründungslegende

Die Legende berichtet von einem Wunder, das zur Gründung des Klosters geführt habe: [...] sah man zeitweise an der Stätte, da nun dieses Kloster steht, helle, liebliche Lichter aufleuchten. Nun war ein Müller an diesem Ort ansässig, und der war unwillig, dass er von seiner Mühle weggehen sollte, und er wehrte sich dagegen, wie er nur konnte. In der Folge hörte er eine Stimme drei Nächte hintereinander, die sprach: «Warum verwehrst du mir den Ort, wo ich mich niederlassen will?» Durch dieses Ereignis [...] gewann er so grosse Gnade, dass er bereitwillig den Platz verliess. (aus dem Tössemer Schwesternbuch von Elsbeth Stagel, ins Hochdeutsche übertragen von Robert Heinrich Oehninger)

Die Legende ist erst nach der Gründung des Klosters entstanden, vermutlich um die etwas wirre Gründungsgeschichte, die religiöse und politische Interessen vermischte, nachträglich zu legitimieren. Man wollte betonen, dass Gott selbst der Anlass für die Klostergründung war, nicht menschliche Interessen.

Geschichtliche Entwicklung

Obwohl die Kyburger den Boden für den Klosterbau und die benachbarte Mühle zur Verfügung gestellt hatten, scheinen sie danach keine weitere finanzielle oder materielle Unterstützung geleistet zu haben. Die Ordensfrauen, die oft aus regionalen Adelsfamilien stammten, waren deshalb auf Almosen und Schenkungen angewiesen. Nach und nach konnte das Kloster Güter und Ländereien erwerben, die seinen Unterhalt sicherten. Bereits im Jahr 1300 konnte die Klosteranlage vergrössert und eine neue, grosse Kirche gebaut werden, die bis 1916 erhalten blieb.

Die Lebensform des Bettlerordens übte eine grosse Anziehung aus. Im Jahr 1350 lebten rund hundert Frauen im Kloster. Das Kloster wurde zu einer Hochburg der Mystik, eine religiöse Bewegung, die sich stark mit dem Leiden Jesu auseinandersetzt. Ziel war es, das Körperliche zu überwinden, um die Seele mit Gott zu verbinden. Um dies zu erreichen praktizierten die Frauen intensives Gebet, Askese und Selbstkasteiung.

Die Blütezeit der Mystik war im Spätmittelalter vorbei, doch das Kloster Töss konnte sich wirtschaftlich weiterhin behaupten. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde das Kloster erneut ausgebaut. Neben einem neuen Kreuzgang wurden in dieser Zeit unter anderem auch luxuriösere Zellen, eine neue Badestube und neue Wohnräume gebaut. Zu den Frauen aus adligen Familien kamen nun auch die Töchter städtischer Rats- und Patrizierfamilien. Die strikten Regeln wurden aufgelockert. So durften die Ordensfrauen ab 1514 bequemere Kleidung tragen und in Notfällen das Kloster auch verlassen.

Elisabeth von Ungarn

Die wohl berühmteste Klosterschwester war Elisabeth, Prinzessin von Ungarn (um 1292 – 1336). Ihre Stiefmutter, die Habsburger Königin Agnes, musste nach dem Tod ihres Mannes, König Andreas von Ungarn, aus dem ungarischen Reich fliehen. Agnes engagierte sich fortan als Wohltäterin von Kirchen und hatte grossen politischen Einfluss. Elisabeth trat im Jahr 1309 durch den Einfluss ihrer Stiefmutter ins Kloster Töss ein – anfangs wohl nicht freiwillig. Dort lebte sie bis zu ihrem Tod im Jahr 1336. Aus ihrem Leben im Kloster werden verschiedene Wunder berichtet. Nach ihrem Tod wurde sie wie eine Heilige verehrt und ihr Grab wurde vom Nonnenfriedhof in die Klosterkirche verlegt. Auch die Weihe des Hauptaltars auf die Heilige Elisabeth von Thüringen, eine Grosstante Elisabeth von Ungarns, hängt mit dieser Verehrung zusammen. Das ungarische Doppelkreuz wurde ins Klosterwappen übernommen und ist heute noch Teil des Wappens von Töss.

Das Tössemer Schwesterbuch

Elsbeth Stagel (auch Elisabeth Stagel oder Elsbeth Staglin genannt) trat zu Beginn des 14. Jahrhunderts ins Kloster Töss ein und wurde später Priorin des Klosters. Um 1360 starb sie. Sie gilt als Verfasserin des Tössemer Schwesternbuchs, in dem die Lebensgeschichten von über 30 Klosterfrauen erzählt werden. Es ist unsicher, ob alle Lebensgeschichten und insbesondere die dem Schwesterbuch angefügte Legende der Elisabeth von Ungarn von Elsbeth Stagel selbst verfasst wurden. Schwesternbücher dienten der Belehrung, Unterhaltung und spirituellen Erbauung. Sie zeigen also vorbildhafte Lebensläufe und idealisierte Erzählungen, nicht primär die alltägliche Realität des Lebens im Kloster. Trotzdem kann davon ausgegangen werden, dass hinter vielen Lebensgeschichten konkrete Personen und Ereignisse stehen, auch wenn sie mit zeitlicher Distanz und literarischer Umformung niedergeschrieben wurden.

Die Wandmalereien im Kreuzgang

Ungefähr zwischen 1490 und 1510 wurde im neugebauten Kreuzgang ein prachtvoller Bilderzyklus gestaltet. Die vier Rückwände, die je ungefähr vierzig Meter lang waren, waren mit rund 80 Bildfelder vollständig ausgefüllt. Die Bilder zeigten biblische Szenen und Heiligenlegenden. Traditionell galt der Winterthurer Maler Hans Haggenberg als Urheber aller Bilder. Heute geht man von mindestens zwei Malern und mehreren Gehilfen aus. Als Stifter der Wandmalereien kommen die Winterthurer Familien Gisler und von Sal in Frage. Da der Kreuzgang 1851 abgerissen wurde, sind die Bilder nur noch in Nachzeichnungen erhalten.

Das Ende des Klosters

Die Reformation führte dazu, dass die Klöster im Kanton Zürich 1525 aufgelöst wurden. Doch schon vorher veranlassten reformatorische Ideen einige Ordensfrauen, das Kloster zu verlassen. Um das Auskommen der ehemaligen Ordensfrauen nach der Auflösung des Klosters zu sichern, bestimmte der Zürcher Rat, dass Frauen, die das Kloster verliessen um zu heiraten, ihre ins Kloster eingebrachten Besitztümer zurückerhalten sollten. Wer sich entschied, im Kloster zu bleiben, erhielt eine Rente. Im Jahr 1532 lebten immer noch rund dreissig ehemalige Ordensfrauen im Kloster. Die letzte starb 1572.

Die Klostergebäude blieben bestehen. Die Kirche wurde zur reformierten Gemeindekirche Töss umfunktioniert. Die übrigen Gebäude dienten als Zürcher Amtssitz der Verwaltung des ehemaligen Klosterguts inklusive der Ländereien. Zuständig war ein vom Zürcher Rat eingesetzter Amtmann. Nachdem 1798 das Amt aufgelöst wurde, standen die Gebäude lange leer. Im Jahr 1833 erwarb die Firma Rieter das Klostergelände, um dort neue Werkstätten für den Bau von Spinnereimaschinen zu bauen. Dafür wurde 1851 zuerst der Kreuzgang abgerissen, ab 1853 wurde die ehemalige Klosterkirche als Fabrikhalle umgenutzt und 1916 wurde auch sie abgerissen. Das einzige heute noch sichtbare Gebäude des Klosters ist die Klostermühle an der Töss.


Benutzte und weiterführende Literatur

Burkhardt, Lorena und Christen, Linda: Archäologische Grabung: verborgenes Kloster im Industriegebiet. In: Winterthurer Jahrbuch 2019, Winterthur 2018, S. 107-109.
Volkart, Silvia: Bilderwelt des Spätmittelalters. Die Wandmalereien im Kloster Töss, Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Band 345, Winterthur 2011.
Folini, Christian: Katharinental und Töss. Zwei mystische Zentren in sozialgeschichtlicher Perspektive, Zürich 2007.
Oehninger, Robert Heinrich: Wir hatten eine selige Schwester... 33 Lebensberichte über Dominikanerinnen aus dem Kloster zu Töss bei Winterthur. Nach dem mittelhochdeutschen Text von Elsbeth Stagel (1300-1260), Zürich 2003, 2 Bände.
Palaia, Alberto: Das Dominikanerinnenkloster Töss von seinen Anfängen bis 1376. Ein Beitrag zur Sozialgeschichte der mittelalterlichen Frauenmystik. Reuen 1999.
Däniker-Gysin, Marie-Claire: Geschichte des Dominikanerinnenklosters Töss 1233-1525, 289. Neujahrsblatt der Stadtbibliothek Winterthur, Winterthur 1957.

Bibliografie

    Töss, Kloster

    • Einträge ab 2011

      Weber, Bruno: Hundert Zürcher Ansichten, Zürich 2017. S. 230-231. m.Abb.
      Niederhäuser, Peter: "Es was ein wild Ding": das Kloster Töss in der Reformationszeit. In: Winterthurer Jahrbuch 2019 (2018). S. 164-171. m. Abb.
      Widmer, Urs: Tösschronik. In: Dokumentation Urs Widmer, Firmen A-Z, Diverse Themen A-Z 10 S.
      Niederhäuser, Peter; Sonderegger, Stefan; Stüssi, Aegidius u.a.: Nüfere und s'Chloschter Töss. Oberneunforn, 2020. 83 S., ill.
      Burkhardt, Lorena; Linda, Christen: Archäologische Grabung: verborgenes Kloster im Industriegebiet. In: Winterthurer Jahrbuch 2021. S. 107-109. m.Abb.
      Pettannice, Nadia: Die neue alte Klostermühle. In: De Tössemer, Mai 2024. S. 15-16. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

      In: Erwin Eugster. Adlige Territorialpolitik in der Ostschweiz. Zürich, 1991. S. 57-109.
      Hans Peter Treichler. Abenteuer Schweiz. Geschichte in Jahrhundertschritten. Zürich, 1991. -S. 58 ff. Briefe aus dem Kloster, m.Abb.
      lehenspflichtige Güter, in: Roger Sablonier. Inventar spätmittelalterlicher Wirtschafts- und Verwaltungsquellen imStaatsarchiv des Kantons Zürich. Zürich, 1990.
      Zehntenplan von Neunforn: Andelfinger Zeitung 1992/86 von Walter Akeret, m.Abb.
      In: Peter Dinzelbacher. Christliche Mystik im Abendland. Paderborn, 1994.
      Über die Wälder des Kloster Töss: Mitenand AHV Zytig 1995/1 von Ernst Krebs, m.Abb.
      In: Die Aufhebung der Klöster im Kanton Zürich und die Verwendung ihrer Güter: ZTB 1999 von Eduard Rübel.
      Kloster Töss, von Martina Wehrli-Johns, in: Die Dominikaner und Dominikanerinnen in derSchweiz. Red. von Petra Zimmer. 2. Teil, Basel, 1999. (Helvetia Sacra, Abt. 4, Bd 5/2).
      Vortragsreihe und Ausstellung Bibliothek Töss: Landbote 1999/24 Vortrag Adolf Baumann, 1Abb., 47 Stimmungsvolle Landschaften, realistische Artigkeit,das Kloster im Bild, Darstellungen eines zerstörten Kulturdenkmals von Felix Meyer bis Julius Rieter, von Silvia Volkart, m.Abb.--Ungarische Königstochter im Kloster Töss: Tössemer 2000/1 von Silvia Volkart, m.Abb. - Landbote 2000/36 S. 19 f. do. von Silvia Volkart, m.Abb.
      In: Bettelorden, Bruderschaften und Begine in Zürich. Hrsg. Barbara Helbling ... [et al.]. Zürich, 2002.
      Stifter und Landesherr: Das Kloster Töss unter dem Schirm der Habsburger, von Martina Wehrli-Johns, in: Alter Adel - neuer Adel ? Zürcher Adel zwischen Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Hrsg. Peter Niederhäuser. Zürich, 2003. (Mitt. d. Antiqu. Ges. in Zürich, Bd 70).
      Die seligen Schwestern werden lebendig: Winterthurer Jahrbuch 2005 von Nicole Meier, m.Abb.
      Gründung, Aufbau und Blütezeit: Tössemer 2008/4 von Henry Müller, m.Abb. .. Gründung vor 775 Jahren: Tössemer 2009/1 + Juni von Henry Müller, m.Abb.
      Wandmalereien. Kunsthistorischer Krimi, Buch: Landbote 2009/189 1Abb.
      Flachschnitzerei, in: Strebel, Rahel. Flachschnitzerei im Kanton Zürich, Ausdruck einer Gesellschaft im Wandel. Zürich, 2009. 2 Bde. Kleine Schriften zur Zürcher Denkmalpflege, H. 9 + 10


Autor/In:
Sarah Schmidt
Letzte
Bearbeitung:
08.06.2025