Wohnhäuser

Mehrgenerationenhaus Giesserei

Ida-Sträuli-Strasse

Jetzt ist Leben im grössten Holzwohnhaus der Schweiz. Seit dem 1. Februar 2013 wird in der selbstverwalteten Siedlung am Eulachpark gewohnt und gearbeitet, genossenschaftlich, nachhaltig und (fast) autofrei. Nach sechs Jahren planen und informieren ist das anspruchsvolle Projekt realisiert.


Baujahr
2013


Adresse
Ida-Sträuli-Strasse
8404 Winterthur

Blick auf die Baustelle der Giesserei im Hintergrund, 2011.
Foto: winbib, Max Perucchi (Signatur Perucchi_8002-01)

Die Vision einer Mehrgenerationensiedlung

In den 1990er-Jahren geriet die Industriebranche in Winterthur in eine schwere Krise. Betroffen war auch die grosse Giesserei der Firma Sulzer in Oberwinterthur, die 2001 stillgelegt wurde. Schon bald gab es erste Überlegungen, wie aus dieser Industriebrache ein neuer Stadtteil entstehen könnte.

Unabhängig von den Vorgängen in Oberwinterthur suchte der Architekt Hans Suter im Jahr 2005 in einer Zeitungsanzeige nach Gleichgesinnten für ein gemeinschaftliches und altersdurchmischtes Wohnprojekt. Zunächst war ein kleines Projekt mit 30 Wohnungen für Menschen ab 50 Jahren angedacht. Doch auf die Anzeige meldeten sich auch jüngere Menschen und Familien, sodass im Jahr 2006 der Verein «Mehrgenerationenhaus» gegründet wurde, der schon bald 40 Mitglieder hatte. Das Projekt stiess jedoch auf Herausforderungen: Winterthur erlebte zu dieser Zeit einen rasanten Wandel von einer Industriestadt zu einer Studienstadt, was die Grundstückpreise in die Höhe trieb.

Nach einem Jahr der Suche fand die Gruppe 2007 auf dem rund 11'000 Quadratmeter grossen Areal der ehemaligen Giesserei in Neuhegi einen geeigneten Standort. Das Areal war Teil des «Hybrid-Cluster-Modells», das die Architekten Dürig & Rämi für die Sulzer Immobilien AG entwickelt hatten.

Das Schiff setzt die Segel

Wegen der Grösse des Grundstücks musste das ursprüngliche Konzept angepasst werden, und es wurde eine professionelle Projektleitung benötigt. Diese Aufgabe übernahmen Hans Suter und Jürg Altwegg. Anstatt eine eigene Genossenschaft zu gründen, schloss sich das Projektteam 2008 der Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen (gesewo) an, die das Grundstück kaufte. Um günstigen Wohnraum bieten zu können, war schnell klar, dass das Gebäude verdichtet werden musste. Zudem wurde Wert auf ökologische Nachhaltigkeit gelegt, die durch den Minergie-Standard und eine Holzbauweise realisiert werden sollte. Insgesamt wurden rund 85 Millionen Franken in das Bauprojekt investiert. Ein Drittel dieser Summe brachten die Genossenschafter:innen selbst auf, der Rest wurde grösstenteils durch Banken finanziert. Für die kleine Genossenschaft handelte es sich um das grösste Bauprojekt seit ihrer Gründung. Trotz einigen Vorbehalten und Ängsten, dass man sich mit dem Grossprojekt übernehmen könnte, stimmten die Genossenschafter:innen schliesslich für die Umsetzung des Projekt.

In einem einjährigen Architekturwettbewerb setzte sich das Team der Galli Rudolf Architekten gegen elf Mitbewerber durch. Das Bauprojekt erhielt den Namen «E la nave va» (übersetzt: «Und das Schiff fährt»), angelehnt an den gleichnamigen Film von Frederico Fellini. 

Architektur

2011 erfolgte der Spatenstich, und bis 2013 wurden auf dem Areal rund 155 Wohnungen sowie zusätzliche Gewerberäume errichtet. Die Siedlung besteht aus zwei sechsgeschossigen, parallel verlaufenden Gebäudestrukturen, die je 130 Meter lang sind. Diese werden an den Enden durch zwei Riegel verbunden, die einen Innenhof umschliessen. Im Innern ist die Holzbauweise kaum sichtbar, da sie aus Feuerschutzgründen verkleidet wurde.

Die Aussenfassade ist mit in kräftigem Rot und Grün gestrichenem Weisstannenholz gestaltet. Die Farben werden durch weisse Tragkonstruktionen aufgelockert. Der Anstrich orientierte sich an den traditionellen Farbrezepturen aus Schweden und Norwegen, jedoch ohne Bleianteil. Mit der Zeit hat sich die Farbe aufgrund der starken Sonneneinstrahlung verändert und erscheint heute eher gräulich und pink.

Speziell ist auch die Tiefgarage, diese bietet nämlich gemeinsam mit den Aussenstandorten rund 480 Veloabstellplätze. Die Siedlung ist die erste in Winterthur, die als «autoarm» konzipiert wurde und deshalb mit rund 60 Autoparklätzen auskommt – ein Teil davon ist für gewerbliche Nutzung reserviert.

Nachhaltigkeit

Das Mehrgenerationenhaus «Giesserei» setzt auf Nachhaltigkeit in vielerlei Hinsicht. Besonders hervorzuheben ist die Holzbauweise, die nicht nur ökologische Vorteile bringt, sondern auch den Energieverbrauch optimiert. Die Siedlung erfüllt den Minergie-Standard und legt grossen Wert auf ressourcenschonendes Bauen. Zusätzlich fördert die autoarme Planung den Umstieg auf nachhaltige Verkehrsmittel, wie Fahrräder und öffentliche Verkehrsmittel.

Selbstverwaltung

Ein weiteres Merkmal des Projekts ist die Selbstverwaltung. Die Siedlung wird von den Bewohner:innen selbst organisiert – es gibt keine professionelle Verwaltung oder Hauswartung. Stattdessen gründen die Mieter:innen verschiedene Arbeitsgruppen, um die alltäglichen Aufgaben zu bewältigen. Jede:r Bewohner:in leistet pro Jahr mindestens 30 Stunden Arbeit für die Gemeinschaft. Seit 2018 haben alle Bewohner:innen ab 12 Jahren das Stimmrecht, was die demokratische Teilhabe stärkt.

Gewerbe

Neben den rund 330 Bewohner:innen gibt es auch verschiedene Gewerbebetriebe und Dienstleister, darunter eine Quartierbibliothek, ein Fahrradgeschäft und Praxisgemeinschaften sowie bis 2023 auch die Ida-Beiz. Diese Mischung aus Wohnen und Gewerbe fördert den Austausch und stärkt das Gemeinschaftsgefühl innerhalb der Siedlung.


Benutzte und weiterführende Literatur

Antonelli, Elisabetta: «Die Giesserei ist eine kleine Schweiz», in: Der Landbote, 03.09.2020.
Schergenberger, Katrin: Wenn im Vorzeigerprojekt die Generationen aneinandergeraten, in: Neue Zürcher Zeitung, 19.12.2017.
Hoster, Alex: Wohnen wie in der Zukunft, in: Der Landbote, 16.03.2016.
Polli, Tanja: «Wohnen in der Giesserei ist ein Beruf», in: Winterthurer Jahrbuch 2016, S. 66–69.
Corts-Münzner, Katinka: Schwedenrotes Vorzeigeobjekt, in: Hochparterre, Oktober 2015.
Simon, Axel: Ich bin eine Ökosiedlung! in: Hochparterre 03/2013.
Eggli, Marisa: Pioniere mit einem Hauch von Idealismus, in: Der Landbote, 26.04.2011.
Eggli, Marisa: Das Schiff steuert auf Neuhegi zu, in: Der Landbote, 03.07.2010.
Scholz, Michael: Wohnen im «Schiff» in Neuhegi, in: Der Landbote, 09.07.2009.

Bibliografie

    Verein Mehrgenerationenhaus, Genossenschaft für selbstverwaltetes Wohnen Gesewo

    • Einträge ab 2011

      Kaiser, Christian: "Giesserei" Winterthur. In: Baubiologie. Nr. 1 (2012). m. Abb. S. 8.
      Fäh, Hanspeter: Lebenszykluskosten. In: Baubiologie. Nr. 40, Heft 4 (2012). S. 24-25. m. Abb.
      Hager-Huber, Marianne: Eine Utopie wird Realität - die "Giesserei" ist eröffnet. In: Baubiologie, Nr. 41, Heft 1 (2013). S. 12-13. m. Abb.
      Himmelreich, Jörg: Gemeinschaft Bauen. In: architektur technik, Nr. 10 (2013). S. 26-30. m. Abb.
      Polli, Tanja: "Wohnen in der Giesserei ist ein Beruf". In: Winterthurer Jahrbuch 2016. S. 66-67. m.Abb.
      Musikzentrum Giesserei. 10 Jahre und im 11-ten fertig. In: Oberi Zytig, Nr. 251 (2024). S. 11. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Landbote 2001/219 1Abb.
      Wohnen im Alter: Winterthurer Jahrbuch 2002 von Erna Neuweiler, m.Abb.
      Konzept der Generationen, von Architekt Hans Suter: Landbote 2007/280. - NZZ 2008/34 S. 31.
      Land Sulzerareal Oberwinterthur: NZZ 2008/106 S. 61 Minergiehaus.
      Wettbewerb, Sieger "E la nave va": Landbote 2009/156 1Abb. - NZZ 2009/156 1Abb. - Winterthurer ZTg 2009/38 1Abb. --Plan Neue Siedlung beim Eulachpark: Hegi Info 2010/3 m.Abb. - Landbote 2010/151 Ida-Sträuli-Strasse, m.Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
11.06.2025