Stadtkreise und Quartiere

Dättnau

Quartier in Töss

Das Quartier Dättnau befindet sich am südwestlichen Stadtrand von Winterthur in einem Seitental in leicht erhöhter Lage. Es ist stark von Wald umschlossen. Im Süden vom Dättnauerberg und im Norden vom Ebnet. Im Nordwesten befindet sich in einer ehemaligen Kiesgrube der Dättnauerweiher. Er bildet heute ein Naturschutzgebiet. Der bebaute Teil des Quartiers befindet sich grösstenteils an südwestlich abfallender Hanglage.


Adresse

Die Eröffnung der Keller-Ziegelei im Dättnau führte zu einem Zuzug von Ziegeleimitarbeitenden. Aufnahme 1904.
Foto: winbib (Signatur 080910)

Geologie

Das Tal entstand zur Zeit der letzten Eiszeit durch den Rückzug der Gletscher. Die Entwicklung der Vegetation konnte dank erhaltenen fossilen Baumresten in den Lehmgruben der Keller-Ziegeleien sehr gut rekonstruiert werden. Mitarbeitende der Ziegelei fanden zudem ein grosses Hirschgeweih, dass sich heute im Besitz des Naturmuseums Winterthur befindet. 

Dättnau im Mittelalter

Vermutlich im 6. Jahrhundert entstand auf dem Ebnet eine kleine Hofsiedlung. Der Name «Dättnau» leitet sich wahrscheinlich von Tattinowa ab, was «die Au des Tatto» bedeutet.

Urkundlich wird der Hof im 13. Jahrhundert fassbar. Die Herren von Dättnau gehörten zu den Habsburger Ministerialen. Bedeutung erlangte Peter von Dättnau, der als Amtmann von Zug amtierte und als Vorsitzender des Amtsgerichts häufig Streitfälle schlichtete. Der Sitz dieses Rittergeschlechts, das nach zwei Generationen wieder ausstarb, befand sich auf der Burg Dättnau. Von der einstigen Anlage sind keine Spuren erhalten geblieben. Das Wappen des Rittergeschlechts zeigte einen silbernen, aufgerichteten Bären auf blauem Grund.

1272 verkaufte der habsburgische Dienstmann Ulrich von Adlikon den gesamten Hof an das Kloster Töss. Später kam der Hof Lüchental hinzu, etwa auf der Höhe der heutigen BMX-Anlage. Die Dominikanerinnen liessen dort Flachs und Hanf anbauen, während weiter oben Reben standen. Zusätzlich liessen sie einen Fischweiher anlegen. So zählten Hanf, Wein und Fisch zu den wichtigsten Abgaben aus der Region.

Dättnau wird Teil der Gemeinde Töss

Der Weiler diente fortan als landwirtschaftliches Rückgrat der Gemeinde und erhielt 1536 ein Bauverbot. Dieser Entscheid führte immer wieder zu Konflikten zwischen den Dättnauer Bauern und der Gemeinde, da sich Erstere bevormundet und in der Entwicklung ihres Weilers beschnitten fühlten. Sie durften nämlich fortan nur noch Scheunen bauen.

Trotz des Widerstandes blieb das Verbot über 250 Jahre lang bestehen. Erst mit dem Niedergang der Alten Eidgenossenschaft und unter der Helvetischen Republik wurde das Verbot für nichtig erklärt. Die Zeiten damals waren allerdings hart: Der Feldzug von Napoleon Bonaparte erreichte auch die Region Winterthur und die Gemeinde Töss wurde zum Kriegsschauplatz. Während der Gefechte zwischen französischen und österreichischen Truppen legten die Franzosen auf dem Ebnet mehrere Schützengräben an, die auf heutigen Lidar-Aufnahmen noch erkennbar sind. Bei archäologischen Grabungen kamen eine Gürtelschnalle, ein Uniformknopf, ein Messer sowie römische Münzen zum Vorschein.

Trotz der Aufhebung des Bauverbots blieb die Entwicklung des Weilers verhalten. Die Spannungen zwischen den Dättnauer Bauern und der Gemeinde Töss bestanden zudem fort. 1820 kam es sogar zu einer Abspaltung der Siedlung Dättnau, die fortan eine eigene kleine Zivilgemeinde bildete. Ihr gehörten allerdings lediglich sieben Familien mit rund 43 Personen an. Diese Zivilgemeinde erwies sich nicht als überlebensfähig und da die Bauern bald ihre Steuerschuld nicht mehr begleichen konnten, baten sie 1874 um Wiederaufnahme in die Gemeinde Töss, was ihnen gewährt wurde.

Am 23. Juni 1883 zerstörte ein Brand den mittelalterlichen Hof Dättnau. Fünf Familien mit rund 23 Personen – und damit der überwiegende Teil der Bevölkerung – verloren damit ihr Zuhause. Sie errichteten darauf die Mehrzweckhäuser an der Dättnauerstrasse 115–124.

Dättnauer Ziegel als Baumaterial für die Industriestadt Winterthur

In den 1880er-Jahren entstanden erste kleine Ziegelhütten, die jedoch bald niederbrannten. 1896 eröffnete der Jungunternehmer Jakob Ulrich Keller eine grosse Dampfziegelei, die 1898 ans Starkstromnetz angeschlossen wurde. Die Ziegelei Dättnau produzierte jährlich bis zu fünf Millionen Ziegel, darunter Doppelfalzziegel, Mauer- und Deckensteine sowie Bedachungsmaterial. Der Lehm stammte aus dem nahegelegenen Dättnauer Weiher der über Schienen in die Ziegelei transportiert wurde.

Die Ziegelei wurde zu einer wichtigen Lieferantin für das rasch wachsende Winterthur. In Töss entstand beispielsweise das Schulhaus Eichliacker aus Dättnauer Backsteinen. Auch der Villenarchitekt Ernst Jung, griff gerne auf die örtliche Ziegelei zurück. Nach einem Brand im Jahr 1928 wurde die Ziegelei erneuert und vergrössert; rund 60 Mitarbeitende produzierten jährlich etwa zehn Millionen Ziegel.

Arbeitersiedlung und Mülldeponie

1942 liess die Firma Rieter im Dättnau mehrere Arbeiterwohnungen an der Dammwiesenstrasen errichten. Daraus entstand eine Siedlungsgenossenschaft. Noch im selben Jahr entstand im Dättnau die kleine Einzelfirma Maag Recycling. Nun wuchs das Quartier markant: 1950 wohnten bereits 250 Menschen im Dättnau. 1959 gründeten Anwohnende den Quartierverein Dättnau um ihre Anliegen auch politisch besser einbringen zu können. Da die Landwirtschaft noch immer präsent war, versorgten sich die Einwohnenden mehrheitlich mit Nahrungsmitteln von den lokalen Bauern. Die Bezüge zu Töss Dorf blieben daher eher bescheiden.

Zehn Jahre später errichteten die Firmen Rieter und Sulzer die Plattensiedlung Steig, die bald auch über einen eigenen Doppelkindergarten verfügte. Die Siedlung Steig war als Satellitenstadt konzipiert und unterschied sich von ihrer Anlage her deutlich vom restlichen Dättnau. Dies führte dazu, dass man beidseitig mehrheitlich unter sich blieb. Die Siedlungen Dättnau und Steig bildeten zusammen mit dem nahegelegenen Rossberg damit bald drei mehrheitlich von Töss abgekapselte Quartiere, die eine eigene Identität entwickelten.  

In den 1970er-Jahren kam es zu bedeutenden Veränderungen im Quartier: Die Keller-Ziegelei geriet in die Krise und stellte 1974 den Betrieb ein. Die stark ausgebeuteten Lehmgruben dienten danach der Stadt Winterthur als Mülldeponie. Auch die Maag Recycling verbrannte auf ihrem Lagerplatz ölhaltige Abfälle. Neben dem Gestank von Müll lag oft auch der Geruch von Bouillon in der Luft, den der Wind von der Maggi-Fabrik in Kemptthal auf den Ebnet trug. Zu den Geruchsemissionen gesellte sich auch der Lärm vom Schiessplatz, der sich seit 1902 auf dem Gebiet der heutigen Freizeitanlage befand. 

Bauboom ab den 1990er-Jahren

Gegen Ende der 1980er-Jahre verkauften die meisten Dättnauer Bauersfamilien ihre Ländereien. Bald darauf setzte ein kräftiger Bauboom ein. Viele Eigentumshäuser für mittelständische Familien entstanden. Der ehemalige Weiler entwickelte sich schnell zu einem modernen Wohnquartier. Das rasch wachsende Wohnquartier suchte nach einer eigenständigen Identität. Dättnau war einerseits kein Dorf, gleichzeitig war es durch die Autobahn und die fehlende Anbindung an den öffentlichen Verkehr praktisch komplett vom Rest der Gemeinde Töss abgeschnitten. Mit dem Niedergang der Landwirtschaft fiel zudem die Versorgungsgrundlage weg. Der Migros-Wagen und Bofrost sprangen in die Bresche. Auch die öffentliche Infrastruktur hinkte der raschen Entwicklung hinterher. Um auf die spezifischen Anliegen des Quartiers aufmerksam zu machen, gründeten die Quartierbewohner:innen 1987 die eigenständige Quartierzeitung «Euses Blättli». 1994 eröffnete der erste Kindergarten im Laubegg. 1993 folgte mit der Linie 13 der Anschluss an das Busnetz, und 2002 nahm das Schulhaus Laubegg seinen Betrieb auf.

Von der Lehmgrube zum Naturschutzgebiet

Bis 1988 wurde im Dättnau noch Lehm abgebaut. Danach übernahm die Stadt Winterthur die ausgebeutete Lehmgrube und liess sie mit Wasser auffüllen, wodurch die heutigen beiden Dättnauer Weiher entstanden. Dieser entwickelte sich rasch zu einem wichtigen Amphibienlaichgewässer von nationaler Bedeutung. Um den Tieren eine sichere Passage zu den Gewässern zu ermöglichen, baute die Stadt einen Amphibientunnel. Weiter wachsen auf dem Gebiet rund zwanzwig verschiedene Gehölzarten sowie fast 200 Kraut-, Wasser- und Wiesenpflanzen, worunter sich auch mehrere seltene Arten befinden. Deshalb handelt es sich heute um ein Naturschutzgebiet mit kantonaler Bedeutung.

Ziegeleibrand und Erdrutsch

Die Bautätigkeit setzte sich auch in den früheren 2000er-Jahre fort. Das hintere Dättnau wurde in mehreren Etappen weitgehend überbaut. 2015 brannte die stillgelegte Ziegelei bis auf die Grundmauern ab. Auf dem Areal errichtete die Keller AG in der Folge eine grosse Wohnüberbauung inklusive Geschäftsräumlichkeiten und Migros-Filiale. Der Ziegeleiplatz bildet seither das neue Eingangstor zum Dättnau.

2019 kam es nach starkem Dauerregen zu einem gewaltigen Hangrutsch am Chomberg. Rund 100'000 Kubikmeter Erdmasse glitten talwärts und verschütteten einen beliebten Feldweg. Es handelt sich aktuell um den grössten Rutschhang in Winterthur.

2015: Beitrag TELE TOP - Brand in Winterthur zerstört ehemalige Ziegelei

Benutzte und weiterführende Literatur

Brunner, Robert: Unser Dättnau um 1950–1960 aus Sicht eines «Ur-Einwohners», in: Euses Blättli, Nr. 150, November 2024.
Pettannice, Nadia: Von der Aussenwacht zum Stadtteil. Erinnerungen eines «Busbillett-Kindes», in: Der Tössemer, Nr. 1, 2021.
Nägeli, Michael: Maag Recycling – Eine Zeitreise zurück in ein ganz anderes Dättnau, in: Euses Blättli, Nr. 123, 2018.
Volkart, Silvia: Eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert, in: Euses Blättli Nr. 117, September 2016.
Emil Stauber: Geschichte der Gemeinde Töss (= Neujahrsblatt der Stadt WinterthurNr. 240). Buchdruckerei Geschwister Ziegler, Winterthur 1926.

Bibliografie

    Dättnau-Steig

    • Einträge ab 2011

      Schär, Christine: Welche Themen bewegen Dättnau-Steig? In: Euses Blättli, Nr. 132/133 (2020). S. 6-7. m. Abb.

      Einträge 1991–2010

      Offene Planung: Landbote 1994/63.
      Quartier im Wandel: Landbote 1994/265 m.Abb.
      Wirtschaftliche Entwicklung: Euses Blättli 1995/35.
      Quartierstruktur: Landbote 1995/295 1Abb.
      Baulandpreise: Landbote 1998/238.
      Der vergessene Stadtkreis: Tages-Anzeiger 2004/43 1Abb.
      Bautätigkeit: Euses Blättli 2005/74 [Im Wannen, Im Weieracker, Bolrain], m.Abb.

    Dättnau. Weiher, ehemalige Lehmgrube

    • Einträge 1991–2010

      Neugestaltung Lehmgrube: Anträge, Anfragen und Interpellationen des Grossen Gemeinderates Winterthur 1991/108 m.Plänen. - Landbote 1991/262 1Abb., 1992/76 m.Abb. - Winterthurer Arbeiterzeitung 1991/262. - Wülflinger Dorfspatz 1992/6 1Abb.
      Schutzmassnahmen ? Winterthurer Woche 1996/21 1Abb.
      Haus Lehmgrube. Rekurs Heimatschutz gegen Baubewilligung: Tages-Anzeiger 1999/185 1Abb.
      Die Weiher von Winterthur: Winterthurer Jahrbuch 2001 von Martin Gattiker, 1Abb.
      Vergrösserung Naturschutzgebiet: Landbote 2001/168.
      Weinländer Zeitung 2001/3.
      Abbruch "Hexenhüsli": Euses Blättli 2001/59. - Zürcher Heimatschutz 2003/24

    Dättnau. Geschichte

    • Einträge ab 2011

      Bachmann, Sandra: Aus Dättnau weg? Niemals! In: Euses Blättli, Nr. 125 (2018). S. 6-8. m. Abb.
      Pettannice, Nadia: Dättnau: Von der Aussenwacht zum Stadtteil. Erinnerungen eines "Busbillett-Kindes". In: Der Tössemer, Nr. 1 (2021). S. 5. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

      Zur Schule über den Kronenrain: Tössemer 1997/2 von Hermann Pedergnana, 1Abb.
      Gedanken zur Gründung unseresQuartiers: Euses Blättli 1999/ .
      Unvollständige Auszüge aus der Quartiergeschichte: Tössemer 2000/1 von Regina Speiser, m.Abb.
      Dättnau, Geschlecht: Euses Blättli 2001/57 1Abb.
      Unser Dättnau um 1950-1960 aus der Sicht eines "Ur-Einwohners": Euses Blättli 2009/89 von Robert Brunner, m.Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
11.10.2025