Kunst und Kultur

Georgette Tentori-Klein

Textilkünstlerin, Puppenspielerin und Bildhauerin (1893–1963)

Die Winterthurerin Georgette Tentori-Klein (1893–1963) zeichnete sich durch ihre künstlerische Arbeit, ihr musikalisches und intellektuelles Schaffen aus. Sie gilt als Pionierin der modernen Textilkunst der 1920er Jahre im Raum Zürich und Winterthur und fand mit dem ersten im Stil des Neuen Bauens errichteten Tessiner Wohnhaus Eingang in die Baugeschichte.


Sterbeort
Barbegno

Geburtsort
Winterthur

Geboren
1893

Gestorben
1963


Portrait von Georgette Tentori-Klein im Wohnzimmer ihrer Casa Sciaredo. Der Name des Hauses nimmt Bezug auf den Flurnamen des Hügels, auf dem das Haus errichtet wurde und meint «mit Eichen bewaldet». 
Foto: zvg. Fondazione Casa Sciaredo

Entgegen der Traditionen

Als Tochter des Ingenieurs und Direktors der Sulzer-Maschinenfabrik Rudolf Klein (1864–1939) und der Geigerin Louise Châtelain (1873–1965) entstammte Georgette Klein einem grossbürgerlichen Milieu. Wie ihre Schwester Marcelle Klein (1897–1986) entschied sie sich jedoch gegen den elterlichen traditionsorientierten Lebensstil und der damit verbundenen Frauenrolle. Sie studierte Germanistik und Romanistik an der Universität Zürich, wo sie 1919 promovierte.

In Winterthur pflegte sie den Kontakt zur Kunstszene, die sich parallel mit dem wachsenden Wohlstand der Industrialisierung entwickelte. Es ist wahrscheinlich, dass sie an den von Hedy Hahnloser-Bühler (1873–1952) organisierten kulturellen Veranstaltungen in der Villa Flora teilnahm und in der Kunstsammlerin eine Art Mäzenin fand. Kleins künstlerische Laufbahn begann 1919 mit einer Ausstellung im graphischen Kabinett des 1916 eröffneten Winterthurer Kunstmuseums. Mit ihren handgefertigten Teppichen, Kissen, Taschen, Gürteln und Schmuckstücken stellte Georgette Klein ihre textilkünstlerischen Fähigkeiten unter Beweis. Kurz danach erhielt sie vom Kunstverein den Auftrag, eine Tischdecke für den runden Tisch im damaligen Anton-Graff-Saal des Kunstmuseums zu gestalten. Mit dem 118 x 120 cm grossen bestickten Tischtuch, der sogenannten «Tovaglia», entstand ein Meisterwerk ihres textilen Arbeitens.

Eine vielbegabte Künstlerin

Ihre eigene Kunstausbildung absolvierte sie ab 1921 an der Kunstgewerbeschule Zürich beim Bildhauer Carl Fischer (1888–1987). Seit Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte sich in Zürich das Marionettentheater, das auch Georgette Klein faszinierte. Sie gestaltete Marionetten und Masken, entwarf Kostüme für ihre eigenen Handpuppen sowie für Marionetten anderer und setzte sich mit der Dramaturgie auseinander. Sie arbeitete mit dem Schweizerischen Marionettentheater zusammen und übernahm an der SAFFA 1928 in Bern die Leitung der Abteilung Puppenspiel. Ihre Marionetten und Bühnenbilder zu Glucks Oper «Der betrogene Kadi», die dort uraufgeführt wurde, zeigen ihr Talent im Bereich der bildenden Kunst. Ihre sozialkritische und feministische Haltung kam in ihrer künstlerischen Leitung des grossen Umzugs aller Berufsgruppen zum Ausdruck, bei dem die Frauen eine Riesenschnecke mitführten, um auf das Schneckentempo bei der Einführung des Frauenstimmrechts hinzuweisen. 

Neben der bildhauerischen Arbeit verfeinerte Klein auch ihr textiles Schaffen. 1922 reiste sie nach England, um sich unter Elisabeth Peacock (1880–1969) im Weben weiterzubilden. Diese etablierte eine neue Generation Weberinnen, die mit geometrisch-ornamentalen Mustern sowie mit floralen und tier- oder figurennahen Zeichen arbeiteten. Ab 1923 hatte Georgette Klein ein Atelier in der Stadt Winterthur, nahm regelmässig an Weihnachtsaustellungen der Gewerbemuseen Winterthur und Zürich teil und stellte sogar in Paris aus.

An der Kunstgewerbeschule kam Georgette Klein auch mit Sophie Taeuber in Kontakt und wurde durch die Bauhaus-Architekten inspiriert. Als Mitglied des Schweizerischen Werkbundes (SWB) ab 1922 pflegte sie Kontakte zur fortschrittlichen Architekturszene von Winterthur. Parallel zu ihrer künstlerischen Laufbahn, pflegte Georgette Klein ihr musikalisches Talent. Sie studierte Geige am Konservatorium Zürich bei Willem de Boer und trat von 1923 bis 1930 regelmässig im Stadtorchester des Musikkollegiums Winterthur als Violinistin auf.

Eine neue Heimat im Tessin

Georgette Kleins persönliches Leben nahm eine entscheidende Wendung mit ihrem Umzug ins Tessin im Jahr 1928 und ihrer Heirat mit dem Elektriker und Bauern Luigi Tentori (1883–1955) im Jahr 1931. Zusammen mit ihrem Ehemann baute Georgette Tentori-Klein in Barbengo oberhalb Luganos die «Casa Sciaredo», das nach ihren Vorstellungen realisiert wurde. Das Haus ist ein von den Ideen Le Corbusiers und des Bauhaus-Stils inspiriertes architektonisches Meisterwerk, das Tentori-Kleins visionäre Weltanschauung widerspiegelt.

In ihrer Tessiner Zeit etablierte sie sich weiter als Kunstschaffende, bewegte sich in der lokalen Kunstgemeinschaft und stellte Marionetten und Holzskulpturen sowie ihre Textilkunst in Lugano und Winterthur aus. Dabei trat sie oft unter ihrem Markenzeichen «Atelier GEO» auf. Ausserdem wurde sie zur Marionettentheater-Unternehmerin und schrieb eigene Theaterstücke für Handpuppen. Georgette Tentori-Klein, starb 1963 in Barbengo, acht Jahre nach ihrem Ehemann Luigi. Ihr Erbe lebt in der «Casa Sciaredo» weiter, die heute – dem Wunsch von Georgette und Marcelle Klein entsprechend – als Wohnatelier sowie Inspirationsort für Kunst- und Kulturschaffende dient und gemietet werden kann. Das Haus steht unter Denkmalschutz.

Um dem letzten Willen der beiden Schwester zu entsprechen, wurde im September 1996 die Fondazione Sciaredo gegründet, die seither das Haus wie auch Georgette Tentori-Kleins persönlichen Nachlass verwaltet. Dieser besteht unter anderem aus 100 Tagebüchern sowie einer Vielzahl von Holzskulpturen. Leider sind die meisten textilen Werke dem Mottenfrass zum Opfer gefallen. Ein grosser Teil ihrer künstlerischen Werke ist heute in Privatbesitz, von vielen Werken ist der Verbleib unbekannt.


Benutzte und weiterführende Literatur

Archiv
Associazione Archivi Riuniti Donne Ticino (AARDT), Massagno, raccolta documentaria donne ticinesi, Georgette Tentori-Klein (mit ausführlichen biografischen Angaben).
Literatur
Bernhard, Roberto: Die Gestalterin und Künstlerin Georgette Tentori-Klein (1893—1963). Ein kreatives Multitalent aus Winterthur, in: Zürcher Taschenbuch, Bd. 142, Zürich 2022, S. 275—307.
Cavegn, Lucia Angela: Georgette Klein (1893—1963), in: Der Landbote, Winterthur, 18. Februar 2013, S. 11.
Cavegn, Lucia Angela: Die gesellschaftliche Solistin, in: Der Landbote, Winterthur, 15. Oktober 2014, S. 8.
Macconi, Chiara; Raggi-Scala, Renata (Hrsg.): Georgette Tentori-Klein: Ein Leben als Solistin – una vita de solista, Melano 2014.
Mascionico, Daniele: Die Nonkonformistin. Die Künstlerin Georgette Klein und ihre Stiftung, in: Neue  Zürcher Zeitung, Zürich, 11. August 2005, S. 49.

Autor/In:
Kathrin Moeschlin
Letzte
Bearbeitung:
05.02.2024