Politik

Hans Rüegg

Jurist, Stadtpräsident, 1902–1972

Hans Rüegg wurde 1939 überraschend zum Stadtpräsidenten gewählt und amtete bis 1966. Der talentierte Jurist führte die Stadt durch den Zweiten Weltkrieg und die anschliessende Hochkonjunkturphase. Er machte sich im Bereich der Winterthurer Kultur und als Präsident der Hülfsgesellschaft verdient.


Sterbeort
Winterthur

Geburtsort
Winterthur

Geboren
26.06.1902

Gestorben
20.01.1972


Hans Rüegg fühlte sich stark mit der Eulachstadt verbunden und lehnte deshalb auch prestigeträchtige Posten beim Bund ab. Hier in einer Aufnahme um 1950. 
Foto: winbib (Signatur 172267)

Kindheit und Jugend

Hans Rüegg wurde am 26. Juni 1902 im «Hinwilerhaus» in Winterthur geboren. Die ersten Kindheitsjahre verbrachte die Familie in einer Wohnung im Hotel «Krone». Es handelte sich um das Elternhaus seiner Mutter Sophie Rüegg-Schellenberg. Sein Vater, Heinrich Rüegg, war Redaktor beim «Landboten» und Präsident der Kantonalbank. Er besuchte das städtische Gymnasium und trat der Schülerverbindung «Vitudorania» bei. Dort entwickelten sich Freundschaften, die ihn sein ganzes Leben lang begleiten sollten und die erheblichen Einfluss auf seine spätere politische Karriere hatten.

Beruflicher Werdegang

Nach Erlangung der Maturität studierte er an den Universitäten Zürich, Berlin und Heidelberg Jura. Seine Doktorarbeit mit dem Titel «die Verordnung im Zürcherischen Staatsrecht» schloss er mit dem Prädikat «summa cum laude» ab. Es folgten Studienreisen nach Paris und London. Die erste berufliche Station war das Bezirksgericht in Winterthur. Während vier Jahren arbeitete Rüegg als Sekretär der zürcherischen Oberrekurskommission für Steuersachen. Schliesslich wurde der talentierte Jurist an das Bundesgericht nach Lausanne berufen, wo er sechs Jahre lang als Bundesgerichtsschreiber tätig war.

Überraschender Kandidat für das Stadtpräsidium

1939 kam es zu einer unerwarteten Wende in seiner Karriere. Als Stadtpräsident Hans Widmer im Amt verstarb und sofort ein Nachfolger gefunden werden musste, wurde Hans Rüegg überraschend von der Demokratischen Partei als Kandidat nominiert. Treibende Kräfte hinter der Nomination waren seine Freunde aus der Schülerverbindung, die in Winterthur viel Einfluss hatten. Ausserhalb der Partei und der Schülerverbindung war Hans Rüegg in Winterthur jedoch kaum bekannt, da er weder in der Eulachstadt je politisiert hatte, noch dort wohnte. Damit er sich überhaupt zur Wahl stellen konnte, transferierte er kurzerhand seine Schriften nach Winterthur. Es folgte ein harter Wahlkampf, da die Sozialdemokraten einen Gegenkandidaten stellten. Hans Rüegg konnte sich jedoch durchsetzen und so wurde der 37-jährige Jurist am 2. Juli zum Stadtpräsidenten gewählt.

Stadtpräsident während dem Zweiten Weltkrieg

Unmittelbar nach seiner Amtsübernahme brach mit dem deutschen Überfall auf Polen der Zweite Weltkrieg aus. Kriegsbedingte Fürsorge, Kriegswirtschaft und der Schutz der Bevölkerung standen deshalb im Zentrum seiner Tätigkeiten. Finanzknappheit und Wohnungsnot prägten das politische Wirken. Rüegg unterhielt ein freundschaftliches Verhältnis zu Oskar Reinhart und er war an den vielen Gesprächen zur Realisierung der Stiftung Oskar Reinhart am Stadtgarten beteiligt. Bereits 1939 hatte das Volk der Umwandlung des Knabengymnasiums in ein Museum zugestimmt, doch die angespannte finanzielle Lage liess keine Investitionen zu. Erst 1951 konnte Hans Rüegg gemeinsam mit Bundesrat Philipp Etter die Sammlung Oskar Reinhart an ihrem Standort am Stadtgarten feierlich eröffnen. Gleichzeitig engagierte er sich für das Musikkollegium.

Nachkriegseuphorie und Stadtwachstum

Ab den 1950er-Jahren stand die Stadt ganz im Zeichen der Nachkriegseuphorie und des Wachstums. Hans Rüegg war besonders für seine regelmässigen Spaziergänge «durch seine Stadt» bekannt, bei denen er die raschen Entwicklungen in Winterthur mit eigenen Augen verfolgte. Oft war er dabei mit offenem Mantel und seinem Spazierstock unterwegs. Er erlebte nicht nur den rasanten Anstieg der Wohnbevölkerung in Winterthur, sondern auch der Siegeszug der Motorfahrzeuge. Aufgrund der rasch wachsenden Bevölkerung wurden nicht nur mehrere Schulhäuser in den 1950er-Jahren gebaut, sondern mit der Wohnüberbauung Gutschick auch die ersten Hochhäuser der Stadt. Hans Rüegg setzte sich allerdings dafür ein, dass die Altstadt von Winterthur weitgehend in ihrer Form erhalten blieb. Ebenfalls kaufte die Stadt in seiner Amtszeit wichtige Liegenschaften, wie das Lindengut, den Adlergarten sowie die Villa Büel und das Rosengarten-Areal auf dem Heiligberg.

Hans Rüegg fühlte sich mittlerweile stark mit der Eulachstadt verbunden und schlug auch prestigeträchtige Posten und Angebote aus – so beispielsweise die Wahl zum Bundesrichter oder die Nomination zum Zürcher Regierungsrat. Einzig im Nationalrat politisierte er 1947–1951. Doch schon nach vier Jahren zog er sich aus der eidgenössischen Politik zurück, um sich wieder ganz auf Winterthur zu konzentrieren.

Privates Engagement

Neben seiner politischen Tätigkeit war Hans Rüegg in Winterthur auch privat engagiert. So sass er in der Zürcher Hochschulkommission sowie in der Aufsichtskommission und im Stiftungsrat der Fachschule Hard. Bis zu seinem Tod war er zudem Präsident der eidgenössischen Schätzungskommission und war Präsident der Hülfsgesellschaft Winterthur. Dort förderte er die Erweiterung der Altersheime Wiesengrund und Sonnenberg.

Rücktritt

27 Jahre lang prägte Hans Rüegg die Politik der Stadt. Eine immer stärker werdende Schwerhörigkeit führte allerdings immer öfter zu Missverständnissen und zum Teil groteske Szenen, wie sich sein Nachfolger Urs Widmer erinnerte. Da Rüegg die Voten im Grossen Gemeinderat nicht mehr hören konnte, musste der Stadtschreiber ihm alles überlaut ins Ohr rezitieren. Hans Rüegg erkannte selbst, dass er sein Amt so nicht mehr weiterführen konnte und trat deshalb 1966 zurück.

Danach widmete er sich vermehrt literarischen Arbeiten und verfasste einige Schriften über andere Stadträte und die Geschichte von Winterthur. Er blieb aber der Stadtpolitik weiter verbunden und hielt im Rahmen der Feierlichkeiten zur Stadtvereinigung im Jahr 10. Januar 1972 – schon deutlich von schwerer Krankheit gezeichnet – eine Rede, wobei ihm im zweiten Teil die Stimme versagte. Nur zehn Tage nach seinem Auftritt verstarb Hans Rüegg im Kantonsspital Winterthur.


Benutzte und weiterführende Literatur

Gmür, Martin: 50 Jahre – vier Stadtpräsidenten, in: Winterthurer Jahrbuch 2004, S. 45–48.
Schaufelberger, Hans: Die Stadt Winterthur im 20. Jahrhundert. Eine Chronik mit begleitenden Texten. Neue helvetische Gesellschaft, Winterthur, 1991, S. 258–261.
Nekrolog: Dr. Hans Rüegg. 1902–1972, Winterthur 1972.

Bibliografie

    Rüegg, Hans, 1902-1972, Dr.iur., Stadtpräsident

    • Einträge ab 2011

      Widmer, Urs: Hans Rüegg (1902-1972) . In: Dokumentation Urs Widmer, Personen A-Z 11 S.

      Einträge 1991–2010

      Hans Schaufelberger. Die Stadt Winterthur im 20. Jh. 1991, S. 258 ff.
      Zürcher Chronik 2000/4 von Urs Widmer, 1Abb.
      Vier Stadtpräsidenten: Winterthurer Jahrbuch 2004 von Martin Gmür, 1Abb.


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
15.07.2022