Kirchengebäude

Stadtkirche

Kirchplatz

Die Winterthurer Stadtkirche steht im Zentrum der Altstadt und zählt zu den bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Die heutige Gestalt als dreischiffige Basilika mit Doppelturmanlage geht auf die letzten grösseren Umbauten im 15. Jahrhundert zurück. Es handelt sich um eine von drei Kirchen im Kanton Zürich, die zwei Türme hat. Für eine reformierte Kirche ungewöhnlich sind die 1930 fertiggestellten Wandmalereien von Paul Zehnder


Baujahr
9. Jahrhundert

Neubau
12. Jahrhundert


Adresse
Reformierte Stadtkirche Winterthur
Kirchplatz
8400 Winterthur
Die Geschichte der Stadtkirche reicht mindestens bis ins 6. Jahrhundert zurück. Auf dieser anonymen  Darstellung der Stadt Winterthur in Schrägaufsicht von 1648 (Museum Lindengut) kommt ihre zentrale Lage gut zum Ausdruck.
Foto: winbib (Signatur: 010021_O)

Baubeschreibung

Die reformierte Winterthurer Stadtkirche (ehemals St. Laurentius) steht im Herzen der Altstadt und zählt heute zu den Wahrzeichen der Stadt. Es handelt sich um eine geostete, dreischiffige Basilika mit einem monumentalen Rechteckchor, der von zwei Türmen flankiert wird. Dies ist eine Besonderheit, denn neben Winterthur haben nur zwei weitere Kirchen im Kanton Zürich zwei Türme: das Grossmünster in Zürich und die Klosterkirche Rheinau. Der Haupteingang befindet sich beim Garnmarkt. Die Westfassade imponiert mit ihrem hoch herausragenden Giebel und dem rund acht Meter hohen Masswerkfenster. Die beiden Seitenschiffe werden durch je fünf Masswerkfenster und etwas schlichter gehaltene Obergadenfenster gegliedert. Der monumentale Chor verfügt an den Seitenwänden jeweils über ein hohes Masswerkfenster und an der Ostfassade über eine dreiteilige schmale Fensteranlage aus dem 19. Jahrhundert.

Zwei Türme für Winterthur

Beim Nordturm handelt es sich um den ältesten erhaltenen Teil der Kirche. Er wurde gegen Ende des 12. Jahrhunderts aus Sandstein errichtet, der aus einem Steinbruch beim Heiligberg gewonnen wurde. Das ursprüngliche Mauerwerk reicht bis zu einer Höhe von 15 Metern. Etwas unterhalb lassen sich rötliche Brandspuren erkennen, die auf eine Feuersbrunst im 14. Jahrhundert zurückgehen. Der stark beschädigte Turm wurde damals mit dunkleren Tuffsteinen neu aufgebaut. Dieser Materialwechsel ist heute noch gut sichtbar. Bis 1794 besass der Nordturm einen gotischen Spitzhelm. Dieser wurde dann vom Zürcher Architekt David Vogel (1744–1808) an die barocke Haube des Südturmes angepasst. Gleichzeitig wurde der Turm aufgestockt.

Der Südturm wurde zwischen 1486 und 1490 errichtet und ist in seinem Grundriss deutlich grösser als sein älterer Nachbar. Der Südturm ist durchgängig aus Sandstein vom Heiligberg gebaut. Ursprünglich wurde der Turm durch einen sogenannten Käsbissen – eine Art Pulttach – abgeschlossen, weshalb er im Volksmund auch «der stunzige» (=stumpfe) genannt wurde. Erst 1659 bekam der Turm von Steinmetz Hans Conrad Frei eine barocke Haube, die nach dem Vorbild der Stadtkirche von Zofingen gestaltet wurde. Damit erreichte der Turm bis zum Spitz eine Höhe von 64 Metern. Von Stadtuhrenmacher Tobias Liechti erhielt er eine neue Uhr mit Zeittafel und Zeiger.  Über dem Gesims leiten drachenförmige Wasserspeier das Regenwasser ab. Hinter den dicken Mauern war gut geschützt ein Stockwerk über der Sakristei das Ratsarchiv eingebaut. Alle wichtigen Urkunden inklusive Stadtrechtsbrief sowie der Stadtschatz wurden dort verwahrt. In der Sakristei finden sich Wandmalereien der drei Stadtheiligen.

Baugeschichte - Eine archäologische Sensation

Im Vorfeld von umfassenden Sanierungsarbeiten fanden 1980 bis 1983 grossflächige Ausgrabungen im Kircheninnern und beim Kirchplatz statt. Dabei konnten die Fundamente von sieben Vorgängerbauten gefasst werden. Es handelte sich um einen Sensationsfund: Da die Kirche schriftlich erst in einer Urkunde von 1180 zum ersten Mal erwähnt wurde, waren Fachleute davon ausgegangen, dass es sich bei der Kirche um eine Neugründung aus dem 12. Jahrhundert handelt. Diese These wurde durch die Ausgrabungen widerlegt. Dadurch mussten die gesamte Frühgeschichte und auch das kirchen- und machtpolitische Verhältnis zwischen den beiden Siedlungen in Oberwinterthur und Niederwinterthur neu beruteilt werden. Da in den frühen Quellen nicht zwischen Ober- und Niederwinterthur unterschieden wurde, tendierte die Forschung dazu, alle Schriftstücke vor 1180 der Siedlung in Oberwinterthur zuzuweisen und alle nach 1180 Niederwinterthur. Unter Berücksichtigung der Grabungsergebnisse und der Tatsache, dass sich die Stadtkirche in direkter Konkurrenz zu Oberwinterthur entwickelte und schon bald grösser war, tendiert die jüngere Forschung dazu, dass Niederwinterthur schon weit vor dem 12. Jahrhundert die bedeutendere Siedlung war.

Die ersten Holz- und Steinkirchen

Die ältesten Spuren verweisen auf eine hölzerne Saalkirche mit eingezogenem Rechteckchor. Sie war etwa zwölf Meter lang und sechs Meter breit. Die Datierung dieser Holzkirche gestaltet sich schwierig und ist mit grossen Unsicherheiten verbunden. Aus typologischen Gründen und angesichts der Grabungsbefunde gilt eine Entstehungszeit im 7. oder 8. Jahrhundert als wahrscheinlich. Die Bauherrschaft dieser ersten Kirche ist unbekannt, stammte aber wohl aus dem gehobenen sozialen Umfeld. Die Holzkirche wurde im 9. oder 10. Jahrhundert durch einen Steinbau ersetzt.  Dieser war nur wenig grösser als der Vorgängerbau und enthielt vermutlich bereits eine Taufanlage, womit die Kirche Pfarrfunktionen ausübte. Um das Jahr 1000 wurde die bestehende Steinkirche im Norden und Süden durch Seitenannexe erweitert, welche privilegierte Grablegen enthielt. Seit 1180 war die Kirche der primäre Bestattungsplatz für die Bewohnerinnen und Bewohner der Kernstadt.

Neubau im 12. Jahrhundert

Die bisherige Kirche wurde im 11. oder 12. Jahrhundert komplett abgebrochen und durch eine eine romanische Saalkirche mit einem neuen Südannex ersetzt. Dieser diente vermutlich als Grabkapelle. Die bestehende Kirche wurde dann nachträglich weiter ausgebaut. So erhielt sie im Norden den ersten Turm und ein Beinhaus und auch eine Erweiterung des Seitenschiffs. Ebenfalls wurde der beinahe quadratische Chor durch einen monumentalen, zweijochigen Rechteckchor ersetzt, der in das spätere 13. Jahrhundert datiert wird.

Um 1300 fielen Teile der Kirche einem Brand zum Opfer. Im Zuge des Wiederaufbaus wurden die Seitenschiffe beinahe um das Doppelte ihrer ursprünglichen Breite erweitert. Gegen Ende des 15. Jahrhunderts liess der kleine Rat von Winterthur eine neue Kirchenanlage konzipieren, die den bestehenden Chor und den Nordturm miteinbeziehen sollte. 1486–1490 wurde der wesentlich mächtigere Südturm errichtet. Danach folgte eine elfjährige Bauphase, in der die Altarstandorte neu bestimmt wurden. Noch bevor 1509 die bischöfliche Abbruchgenehmigung eingetroffen war, hatten die Bauarbeiten im Langhaus bereits begonnen. Die Kirche bekam nun die bis heute weitgehend erhaltene Form. 1515 wurde die Kirche St. Laurentius neu geweiht.

Einflüsse der Reformation

Nur zehn Jahre nach der Neuweihe setzte sich die Reformation in der Stadt Winterthur durch und es kam zur «Säuberung» des Kirchengebäudes von sämtlichen «Kirchenzierden». Alle liturgischen Ausstattungsgegenstände wurden inventarisiert, verkauft oder eingeschmolzen. Auch die Kirchenorgel wurde eingeschmolzen und für den Bau des Glockentürmchens am Käfigtor (unterer Bogen) wiederverwendet. Mit Ausnahme des Einbaus einer Westempore verzichtete man bis ins 17. Jahrhundert auf grössere Umbauten. Dann jedoch wurde beschlossen, alle verbleibenden Wandmalereien zu überstreichen und den alten Lettner zu entfernen.

Eine Empore für das Musikkollegium und spätere Umbauten

Vermutlich für das 1629 gegründete Musikkollegium wurde entgegen einem zuvor gefassten Beschluss, dass der Chor offenbleiben sollte, eine Ostempore errichtet. Zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert fanden immer wieder umfangreiche Sanierungsarbeiten statt. Die augenscheinlichsten Massnahmen waren der Abbruch der alten Sakristei vor dem Nordturm und die komplette Ausmalung der Kirche durch Paul Zehnder (1884–1973).

Wandmalereien

Über die mittelalterliche Ausmalung der Kirche ist bisher kaum etwas bekannt, da keine entsprechenden Untersuchungen an den Kirchenwänden vorgenommen wurden. Zwischen 1525 und 1620 wurden im Zuge der Reformation alle Kirchenzierden entfernt respektive übermalt. Erst 1861 brachte der Winterthurer Maler August Jäggli wieder etwas Farbe in die Kirche. Er dekorierte sie mit grauen ornamentalen Mustern. 1863 erhielt der Winterthurer Kunstmaler August Weckesser den Auftrag, eine Kopie des Gemäldes «Die Verklärung Christi» von Raffael zu malen. Das Gemälde wurde dann von Giacomo Gritti an die Chorbogenwand übertragen. Ergänzt wurde die Malerei 1887 nach den Entwürfen von August Johannes Wildermuth. Im Vorfeld der Renovation von 1920 wurde jedoch klar, dass das Bild am Chorbogen nicht mehr zu retten sein würde.  Die Kirchgemeinde schrieb darauf einen Wettbewerb aus, aus dem die beiden Maler Paul Zehnder und Niklaus Stöcklin als Sieger hervorgingen. Den Zuschlag erhielt letztlich Paul Zehnder aus Bern. Im Austausch mit dem Pfarrkonvent wurden die Motive und Entwürfe besprochen.  Zehnders Malereien sind in kräftigen Farbtönen gehalten und in schwarze Konturen gefasst. Er benutzte für seine Ausführungen Mineralfarben, die er auf einen feinen Verputz auftrug, und verzichtete auf jegliche Perspektive, womit er sich an die Tradition mittelalterlicher Wand- und Buchmalerei anlehnte. Die Seitenschiffe sind mit wichtigen alttestamentarischen Propheten geschmückt, die einen braunen Hintergrund aufweisen. Der Obergaden des Mittelschiffs thematisiert die Verkündigung und verschiedene Erzählungen aus dem Neuen Testament, darunter Szenen aus dem Leben Christi. Im Gegensatz zu den Seitenschiffen sind diese Malereien mit einem kräftigen blauvioletten Hintergrund versehen.

Verbotene Orgel in der Stadtkirche

Nachdem die Pfeifen der originalen Orgel aus dem 15. Jahrhundert im Zuge der Reformation aufgrund des neu erlassenen Orgelspielverbots eingeschmolzen wurden, blieb die Kirche fast 400 Jahre ohne Ersatz. 1808 konnten Vertreter des Musikkollegiums, die vom Stadtrat einen Auftrag zur Verbesserung des Kirchengesangs erhalten hatten, die grosse Liebfrauenorgel aus dem Kloster Salem beim Bodensee erwerben. Diese wurde per Pferdegespann nach Winterthur transportiert und trotz weiterhin bestehendem Spielverbot in der Kirche aufgestellt. Damit besass die Stadtkirche als erste Kirche im Kanton Zürich seit der Reformation wieder eine Orgel. Sonderlich gut erging es ihr allerdings nicht, aufgrund unsachgemässen Gebrauchs musste sie schon bald durch den berühmten Freiburger Orgelbauer Aloys Mooser (1770–1839) repariert und an einen geeigneteren Ort auf der Westempore versetzt werden. Mooser verstarb noch vor Abschluss der Arbeiten, so dass diese von Friedrich Haas (1811–1886) beendet wurden. Bis heute prägend sind die erneuten Umbauten und Arbeiten der Firma E. F. Walcker von 1888.

Friedhof

Seit spätestens dem 11. Jahrhundert besass die Stadtkirche einen Friedhof. Dieser war zuerst den Adligen und später den Bewohnerinnen und Bewohnern der Kernstadt vorbehalten, da die Vorstädte zu Oberwinterthur kirchgenössig waren. Ab 1482 war er der städtische Friedhof für die gesamte Bevölkerung. 1826 wurde der Friedhof zugunsten des Kirchplatzes aufgehoben. Als neue städtische Grabstätte diente darauf der Friedhof St. Georgen.

Patrozinien

Wann genau Winterthur das Patrozinium von St. Laurentius erhalten hat, lässt sich nicht sicher feststellen. Im 11. und 12. Jahrhundert verfügten rund 20 Kirchen im Bistum Konstanz über Laurentiusreliquien. Denkbar ist aber auch, dass in Winterthur die Verehrung des Laurentius erst verhältnismässig spät einsetzte. Schriftlich erstmals belegt ist sie für das Jahr 1350. St. Albanus wurde zum Stadtheiligen erhoben, weil 1264 an seinem Namenstag der Stadtrechtsbrief ausgestellt wurden. Der Eisheilige St. Pankratius diente als Schutzheiliger des bäuerlichen Bevölkerungsteils in Winterthur.

Benutzte und weiterführende Literatur

Windler, Renata: «Vitudurum» und «Winterture» – von den Anfängen bis zur Stadt um 1300, in: Winterthurer Stadtgeschichte Bd. 1., Zürich 2014.
Kraft, Sibyl: Die Stadtkirche Winterthur, Bern 2013 (Schweizerische Kunstführer GSK).
Jäggi, Carola; Meier, Hans-Rudolf; Windler, Renata; Illi, Martin: Die Stadtkirche St. Laurentius in Winterthur. Ergebnisse der archäologischen und historischen Forschungen, Zürich 1993 (Zürcher Denkmapflege. Archäologische Monographien 14).

Bibliografie

    Reformierte Kirche Winterthur-Stadt

    • Einträge ab 2011

      Warum hat die Stadtkirche zwei unterschiedliche Türme? In: Winterthurer Zeitung, Nr. 9 (2022). S. 24. m.Abb.

      Einträge 1991–2010

      Struktur und Hintergründe: Pfarreibulletin St. Peter und Paul 1998/51 von Georges A. Braunschweig.
      Wochenendstube siehe dort.
      Finanzprobleme: Landbote 2004/152.
      Glauben 12: Landbote 2006/129.
      Saal Tössfeld. Aufgabe: Kirchenbote Winterthur-Stadt 2007/1, 2.
      Altes Pfarrhaus. Veranstaltungs-Ort: Kirchenbote 2007/10 1Abb.
      Freiwilligenarbeit, Rückblick: Unsere Gemeinde 2009/3 Interview Lucienne Geilinger, 1Abb.
      Stimmrecht für Ausländer: Landbote 2010/49 1Abb.

    Reformierte Kirche Winterthur-Stadt, Jugendkirche

    • Einträge 1991–2010

      Jugendkirche, Aufbau mit eigenem Pfarrer: Landbote 2003/48, 2004/1 von Nik Gugger.
      Erster "junger Gottesdienst": Winterthurer Zeitung 2004/13 1Abb. - Landbote 2004/78 1Abb., 86 1Abb.
      Jugendkirche Initiant Nik Gugger: NZZ 2004/118 S. 35 1Abb.
      Winterthurer Zeitung 2004/36 1Abb. - Landbote 2004/215.
      Im Casino: Landbote 2004/220 1Abb.
      Special Event: Winterthurer Zeitung 2004/50.
      Jugendkirche-Pfarrer Matthias Girgis: Landbote 2005/3 1Abb.
      Openair-Gottesdienst mit Bundesrat Samuel Schmid: Winterthurer Zeitung 2005/20 m.Abb. - Landbote 2005/115, 117 1Abb. - Kirchenbote 2005/12 1Abb.
      Zwei Jahre: Stadtanzeiger 2005/35 1Abb.
      Fabrikkirche auf Sulzer-Areal: Landbote 2006/65.
      Von derEventkirche zur Fabrikkirche:: S'Chilefäischter 2006/8 von Ulrich Schelling. - Kirchenbote Veltheim 2006/8 Do. - Landbote 2006/119 1Abb. , 146 Luxusvariante, 2007/4 1Abb.. - Winterthurer Zeitung 2006/21 1Abb.
      Kirchenbote 2006/19 Umbau 1Abb. - Tages-Anzeiger 2007/22 1Abb. [Winterthurer Dok.
      Fabrikkirche. Ziele: Kirchenbote Veltheim 2007/82007/7]. --Projekt von Nik Gugger: Kirchenbote Kt. Zürich 2007/18 1Abb.
      Bistro: Landbote 2008/124 1Abb.
      5 Jahre: Winterthurer Zeitung 2008/35+36 m.Abb.
      Winterthurer Zeitung 2008/50 1Abb.
      beten ist cool: Winterthurer Zeitung 2009/13 1Abb.
      Pfarrerin: Stadtanzeiger 2009/37 1Abb.

    Reformierte Kirche Winterthur-Stadt. Zentralkirchenpflege

    • Einträge 1991–2010

      75 Jahre: Stadtblatt 2006/46 von Marisa Eggli


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
19.08.2022