Öffentliche Bauten

Badeanstalt Tössfeld

Untere Briggerstrasse 20

Die Badeanstalt Tössfeld war von 1908 bis 1989 in Betrieb und bot Wannenbäder und Duschmöglichkeit für die Bevölkerung an. Daneben verfügte das Gebäude auch über eine Bibliothek mit Lesesaal sowie zeitweise einer Suppenküche. Nach der Schliessung wurde das Gebäude umgebaut und gehört seither zum Schulhaus Tössfeld.


Baujahr
1908

Schliessung
1989


Die 1908 eröffnete Badeanstalt Tössfeld wurde von den bekannten Winterthurer Architekten Robert Rittmeyer und Walter Furrer entworfen.
Foto: winbib (Signatur 064565)

Öffentliche Badeanstalten in allen Quartieren

Unter dem Einfluss der Aufklärung und der Hygienebewegung, erkannten die lokalen Gesundheitsbehörden im Verlauf des 19. Jahrhunderts die Wichtigkeit der regelmässigen Körperhygiene. Gerade in Industriestädten war das Thema prominent, da Menschen, die in den Fabriken arbeiteten oft sehr starken Verschmutzungen ausgesetzt waren und bei sich zu Hause nicht über die nötige Infrastruktur zur ausreichenden Körperpflege verfügten. Der Einbau von Badewannen oder Badzimmern war damals nämlich noch mehrheitlich den privilegierten Schichten vorbehalten. Erst in den 1950er-Jahren setzte sich der standardmässige Einbau von «Nasszellen» flächendeckend durch. Neben dem Staat waren es deshalb oft auch Fabrikherren, die ihrer Belegschaft Bade- und Waschgelegenheiten anboten. So beispielsweise die Firmen Rieter, Sulzer, die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik und die Brauerei Haldengut. Die Firmenbäder standen in der Regel zu bestimmten Zeiten und gegen eine kleine Gebühr auch den Angehörigen der Belegschaft zur Verfügung. Die Kinder erhielten in den Schulhäusern die Möglichkeit zur Dusche.

Die Stadt Winterthur erwies sich in Sachen öffentlichen Badeeinrichtungen als Vorreiterin. 1864 eröffnete sie nämlich in der Altstadt an der Badgasse die erste Bade- und Waschanstalt der Schweiz. Weil die Stadt rapid wuchs, reichten die Kapazitäten aber bald nicht mehr aus.

Bibliothek, Badeanstalt und Suppenküche

1904 beantragte das Gesundheitsamt den Bau von Badeanlagen in allen grösseren Stadtquartieren. Den Anfang sollte dabei Tössfeld machen. Das ursprüngliche «Projekt Haggenmacher» sah eine Anlage mit zehn Wannenbäder und zwei Duschen vor. Jährlich sollten etwa 8000 Bäder und 400 Duschen zu je 20. respektive 10. Rappen angeboten werden. Das Projekt scheiterte aber am Widerstand des Stadtrates, der die Anlage für zu gross hielt. 1906 wartete das Gesundheitsamt mit einem neuen Entwurf einer deutlich kleineren Anlage der Winterthurer Architekten Robert Rittmeyer und Walter Furrer auf.

Weil die Stadt grossen Wert auf Kosteneffizienz legte, kam es zu einer ungewöhnlichen Kombination zwischen öffentlicher Badeanstalt und Lesesaal. Einen solchen gab es zwar schon in der Kunsthalle in der Altstadt, doch auch dieser war hoffnungslos überfüllt. Ebenso argumentierte die Gesundheitsbehörde, dass dank der Verbesserung des Fabrikgesetzes, das nun mehr Freizeit gewährte, das Lesebedürfnis insbesondere der Arbeiterschaft gestiegen sei.

Die 1908 fertiggestellte und eröffnete Anlage verfügte über sechs Wannenbäder und sechs Duschen, einem Lesesaal, ein Nähatelier und ein Schulzimmer. Es handelte sich somit um ein multifunktionales Gebäude, das die Grundzüge eines Gemeindezentrums aufwies. Die Aufsicht über die Badeanstalt oblag dem Bademeister, der vom nahegelegenen Gaswerk jeweils das zum Aufheizen des Wassers benötigte Koks besorgte. Die Badeanstalt wurde rege frequentiert – die Badewilligen lösten normalerweise in der Mittagspause ein numeriertes Billet und standen dann nach Feierabend geduldig an, denn täglich wurden rund 200 Nummern vergeben und nacheinander aufgerufen. 

Von der Poststelle zum Schulgebäude

Während den Weltkriegen richtete die Stadt im Keller des Gebäudes eine Suppenküche ein, die rege genutzt wurde. Im Zweiten Weltkrieg eröffnete die Post in der Badeanstalt eine Filiale ein, wofür ein eigener Stempel mit der Aufschrift «Paketannahmestelle Winterthur-Töss» entworfen wurde, der in internationalen Sammlerkreisen bald sehr begehrt war.

Der Badeboom hielt in Tössfeld noch bis Ende der 1960er-Jahre an. Diese ungewöhnlich lange Erfolgszeit ist auf die damalige prekäre Wohnsituation der Gastarbeiter zurückzuführen, die während der Hochkonjunktur in hoher Zahl in Winterthur lebten und arbeiteten. In dieser Zeit wies die Badeanstalt jährlich bis zu 7000 Vollbäder und 10’000 Duschen aus.  Danach brach die Nachfrage aber endgültig ein. Statt wie früher 200 Gäste, besuchten nun im Schnitt nur noch täglich etwa zehn Personen die Anlage. 1988 beschloss die Stadt deshalb ihre letzte noch im Betrieb stehende Badeanstalt zu schliessen und das Gebäude dem Schuldepartement zu übergeben. Im Juni 1989 nahm Tössfeld feierlich Abschied von ihrer «Alten Badi».

Schweizer Radio und Fernsehen (SRF): Bad Winterthur. Schliessung der Badeanstalt Tössfeld in: Sendung DRS Aktuell vom 21.06.1989.

Umbau zum Schulhaus

Für 2.3 Millionen Franken konnte das Gebäude dann für schulische Zwecke umgebaut werden. Statt Bäder und Duschen gab es dort ab 1990 nun Handarbeit- und Werkunterricht sowie einen Raum für die Logopädie.


Benutzte und weiterführende Quellen und Literatur

Archivalien
Stadtarchiv Winterthur, Badeanlagen (Signatur II B 16a1)

Literatur
Am: Schliessung der letzten Winterthurer Badeanstalt, in: Neue Zürcher Zeitung, 22. Juni 1989.
er: Öffentliches Badehaus nicht mehr gefragt, in: Neue Zürcher Nachrichten, 23. Juni 1989

Bibliografie


Autor/In:
Nadia Pettannice
Letzte
Bearbeitung:
02.04.2024